Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)
Ägypten eine Frage von Leben und Tod ist, gilt sexuelle Konversion – von schwul zu hetero – nicht bloß als akzeptabel, sondern als äußerst ratsam. Tatsächlich praktizieren in Kairo einige der bekanntesten »Reorientierungstherapeuten« der arabischen Welt. Der Psychiater Awsam Wasfy hält Homosexualität für eine Entwicklungsstörung. »Homosexualität ist keine freie Entscheidung im Leben«, behauptet er. »Es ist keine unverzeihliche Sünde, noch ist es der Makel, der totgeschwiegen werden muss. Es ist vielmehr eine Störung der sexuellen Entwicklung, die bei Kindern und Heranwachsenden vermieden und später, wenn auch mit großen Schwierigkeiten, behandelt werden kann.« 17 Laut Wasfy fehlt Jungen, die in der frühen Kindheit keine stabile Bindung zu ihren Vätern aufbauen, und Mädchen, die keine entsprechende Bindung zu ihren Müttern entwickeln, die Identifikation mit ihrem eigenen Geschlecht und daher ein Gefühl für ihre Männlichkeit oder Weiblichkeit.
Kinder fühlten sich von Natur aus zum gleichen Geschlecht hingezogen, so Wasfy, aber in der Pubertät verwandele sich dies normalerweise in eine sexuelle Anziehung durch das andere Geschlecht – eine Veränderung, die seiner Meinung nach in einigen arabischen Gesellschaften durch die strikte Trennung von Jungen und Mädchen erschwert wird. Er verweist auf Studien, wonach Depressionen, Suizid, Drogenmissbrauch und sonstige psychische Störungen unter homosexuellen Männern häufiger auftreten als unter ihren heterosexuellen Geschlechtsgenossen. »Ist dies darauf zurückzuführen, dass Homosexualität eine Pathologie der Entfremdung vom eigenen Selbst ist, oder auf die Verfolgung durch die Gesellschaft?«, fragt er. »Meines Erachtens ist es eine Krankheit, auch wenn die gesellschaftliche Verfolgung zweifellos nicht förderlich ist. Selbst in San Francisco hat man diese Befunde, an jedem Ort, wo man der Homosexualität mehr Toleranz entgegenbringt.«
Wasfy setzt auf Gruppentherapie, wobei er homosexuelle mit heterosexuellen Klienten zusammenbringt. Sein Ziel ist es, Männern zu helfen, auf einer emotionalen, aber nichtsexuellen Ebene miteinander in Beziehung zu treten – eine Bindung, die homosexuelle Klienten laut Wasfy aufgrund ihrer frühkindlichen Erfahrungen nur schwer aufbauen können. Das Ziel ist es, den »heilenden Moment« zu erreichen, wie Wasfy es ausdrückt, »wenn ein Homosexueller einem Heterosexuellen von seiner Homosexualität erzählt und ihn der Heterosexuelle liebt und akzeptiert«.
Diese Ideen und Verfahren klingen für viele im Westen vertraut, insbesondere in den Vereinigten Staaten, wo Bemühungen um sexuelle Umorientierung ihre begeistertsten Befürworter haben. Zu ihnen zählen konservative christliche Bewegungen, die »durch die Kraft von Jesus Christus die Befreiung von Homosexualität« versprechen. 18 Tatsächlich kam Wasfy, der ein evangelikaler Christ ist, durch seine religiösen Verbindungen zur Reorientierungstherapie.
Im Westen ist die Reparativtherapie, wie sie auch genannt wird, höchst umstritten. Versuche, die Homosexualität selbst zu behandeln – im Unterschied zu psychiatrischen Problemen, die homosexuelle Männer und Frauen haben mögen –, waren vor den 1970er Jahren weit verbreitet. Im Jahr 1973 beschloss die American Psychiatric Association jedoch, Homosexualität aus ihrer Bibel, dem Diagnostic an d Statistica l Manual of Mental Disorder ( DSM ), zu streichen. Nachdem die Behandlung der Homosexualität in den 1970er und 1980er Jahren dahindümpelte, feierte sie in den 1990er Jahren in Gestalt der »Reorientierungstherapie« ein Comeback; sie wurde bereitwillig von Psychiatern aufgegriffen, die behaupteten, homosexuellen Männern und Frauen, die ihre Orientierung verändern wollten, sollte dabei geholfen werden.
Ob dies möglich ist, ist jedoch eine andere Frage. Experten für psychische Gesundheit sind da höchst skeptisch. Nach einer gründlichen Auswertung von Studien zur Reparativtherapie gelangte die American Psychological Association unlängst zu dem Schluss, dass »Bemühungen zur Änderung der sexuellen Orientierung wohl kaum erfolgreich und mit gewissen Schädigungsrisiken verbunden sind«; auch die American Psychiatric Association ist von der Wirksamkeit der Therapien nicht überzeugt. 19 Wasfy ist sich dieser Debatten sehr wohl bewusst. Während Befürworter von sexuellen Rechten behaupten, die Reparativtherapie könne nur in einer Kultur der Intoleranz gegenüber Homosexualität
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