Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)
sich bringen kann. Ich habe jetzt viel größeren Respekt vor älteren Menschen als früher, wuchs ich doch in einer Gesellschaft auf, die Jugend über alles stellt. Und ich besitze ein viel besseres Verständnis des Islam, das meine Verbundenheit mit einem Glauben, der mir in meinem Leben Freiheit und Orientierung gibt, nur noch verstärkt hat.
Ich empfinde darüber hinaus nicht nur Zuneigung und Dankbarkeit, sondern auch eine tiefe Bewunderung für Menschen in der gesamten Region, die mich so herzlich in ihrem Leben willkommen hießen – es war nicht nur die übliche Gastfreundschaft gegenüber Fremden, sondern vielmehr haben sie mich wirklich als eine der Ihren akzeptiert. Das ist, oberflächlich betrachtet, nicht leicht. Ich sehe nicht im Entferntesten arabisch aus (ich habe die Hellhäutigkeit meiner Waliser Mutter und eine Figur, die eher pfeil- als arabesk birnenförmig ist); mein Arabisch ist alles andere als perfekt; und meine Erziehung ist meilenweit entfernt von der ihren. Aber die Menschen konnten über diese Unterschiede hinwegsehen, und es gelang uns, durch unseren gemeinsamen Humor und eine unerwartete persönliche Affinität einen guten Draht zueinander zu finden. Wenn sie es fertigbringen, dass selbst ic h mich bei ihnen wie daheim fühle, dann bin ich zuversichtlich, dass Gesellschaften in der Region einen Weg finden, der Vielfalt einen Platz zu bieten.
Es gehörte schon ein erschreckender Mangel an Introspektion dazu, so viel Zeit damit zu verbringen, das Privatleben anderer Menschen zu ergründen, und nicht hin und wieder das eigene in Frage zu stellen. Bis ich Azza und Amany und die vielen anderen Frauen in diesem Buch kennenlernte, war mir nicht richtig klar, wie viel Glück ich mit meiner Erziehung hatte. Meine Eltern verankerten in mir die feste Überzeugung, dass ich alles erreichen und alles sein könne, und die Männer, die später in mein Leben traten – Freunde, Kollegen, Mentoren und mein Ehemann –, haben mich in jeder Hinsicht immer als vollkommen gleichberechtigt behandelt. Meine Jahre in Ägypten führten mir deutlich vor Augen, was für ein hoher Wert es ist, in einer freiheitlichen Demokratie aufzuwachsen, wo man mir Achtung vor Vielfalt und Toleranz gegenüber anderen beibrachte, wie stark sich ihre Lebensweise auch von meiner eigenen unterscheiden mochte.
Ich freue mich auf den Tag, an dem diese Werte sich nicht nur in der Politik der arabischen Welt, sondern auch im Privatleben der Menschen widerspiegeln. Es bedurfte eines Aufstands, um die Politik in Ägypten umzukrempeln, und selbst danach geht der Wandel nicht reibungslos und kontinuierlich über die Bühne. Ich bezweifle, dass es zu einem grundlegenden Wandel des Sexuallebens kommen wird. Einstellungen zur Sexualität und sexuelles Verhalten sind überall auf der Welt über zahllose Fäden der Vergangenheit und Gegenwart eng miteinander verwoben. Um einen anderen Teppich zu weben, braucht man ein neues Muster, und es wird Jahrzehnte dauern, um dieses umzusetzen. Der Wandel komm t nach Ägypten; nicht als sexuelle Revolution, wie ich glaube, sondern als eine sexuelle Neubewertung, bei der Menschen eines Tages über die Bildung, die Neigung und die Freiheit verfügen werden, um sich ohne Scheuklappen anzusehen, wer sie sind, wie sie zu dem geworden sind und welche Entwicklungsmöglichkeiten sie in der nahen Zukunft für sich sehen. Das Selbstbewusstsein und die Kreativität der arabischen Zivilisation spiegelten sich einst in ihrem Sexualleben wider. Zum ersten Mal seit langem haben wir eine Chance, dies wieder zu sehen – nicht dadurch, dass wir in unsere Vergangenheit starren, sondern dadurch, dass wir in unsere Zukunft schauen.
Als die Sonne über Kairo unterging, verließ ich die Zitadelle durch ein massives Tor und ging eine steile Auffahrt hinunter. Als ich in ein Taxi stieg, fragte mich der Fahrer, wohin ich wolle. Ich nannte ihm die Adresse, fügte aber hinzu, dass ich nicht wisse, wie man dorthin komme. »Kein Problem«, sagte er, »wir werden den Weg finden, so Gott will.« Und mit diesen Worten glitten wir in den schnell fließenden Verkehr und tauchten in die Stadt am Fuß der Zitadelle ein.
DANKSAGUNG
Dieses Buch wäre ohne die Mitwirkung von Gamal El Feki nicht möglich gewesen. Der zu meinem Forschungsassistenten gewordene ehemalige Neurochirurg ließ mich großzügig teilhaben an seinem – gelebten und angelesenen – Wissen über die ägyptische Geschichte und die ägyptische Gesellschaft sowie
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