Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)
zurückfinden werden. Diese »Heimkehr« zeigte sich deutlich bei dem Aufstand von 2011, wo die persönliche Frömmigkeit der Millionen von Demonstranten, die sich beim öffentlichen Gebet verneigten, ganz offensichtlich war, während ihre Erhebung weitgehend politischer, nicht religiöser Natur war.
Heute drängt der Westen Ägypten und seine Nachbarn zur Demokratie und projiziert dabei nur allzu leicht seine eigene Vergangenheit auf die Zukunft der arabischen Region; dabei sieht er in der organisierten Religion ein Hindernis für sexuelle Rechte, schließlich besiegelte die sexuelle Revolution im Westen den weitgehenden Machtverlust der Kirche. Die Situation in der arabischen Welt ist eine ganz andere. Selbst wenn, was durchaus möglich ist, die Macht des politischen Islam im Gefolge der Schwierigkeiten bei dem Versuch, ein so komplexes Land wie Ägypten zu regieren, schwinden sollte, so wird doch der Glaube stark bleiben – allerdings hoffentlich mehr eine Sache der persönlichen Frömmigkeit als der öffentlichen Politik, mehr Sein als Schein. Trotz der Bedenken von Sexualrechtsaktivisten, die die Religion aus dem Schlafzimmer heraushaben wollen, ist Gläubigkeit meines Erachtens keine Form der Regression. Wie ich dargelegt habe, können sexuelle Rechte in einem islamischen Bezugsrahmen verwirklicht und ausgeübt werden, solange Menschen die Freiheit haben, eigenständig zu denken und zu handeln.
Es gibt noch immer viele, die entschieden anderer Meinung sind, die sagen, es sei eine Kapitulation vor dem Westen, offen über Sexualität zu sprechen, ihre Probleme ungeschönt zu thematisieren und ihre Freuden zu rühmen, sich die ursprünglich vorhandene Flexibilität der Institution Ehe im islamischen Recht vor Augen zu halten und Toleranz gegenüber sexueller Vielfalt zu üben. Ich teile diese Auffassung nicht. Seit mehr als 200 Jahren, vom Einmarsch Napoleons in Ägypten über die Niederlage im Sechstagekrieg gegen Israel von 1967 bis zum Krieg im Irak, trägt Ägypten einen schweren Ressentiment- und Minderwertigkeitskomplex mit sich herum, der es konservativen Kräften erlaubt hat, unter dem Vorwand des Widerstands sogenannte westliche gesellschaftliche Konventionen abzulehnen. Die Ironie liegt darin, dass ein Großteil dessen, was sie als gefährliche ausländische Ideen brandmarken, schon lange bevor diese vom westlichen Liberalismus aufgegriffen wurden, geistiges Gemeingut der arabisch-islamischen Welt war.
Ich bin zuversichtlich, dass die Aufstände, mit denen dieses Jahrzehnt begann, langfristig die arabische Welt von diesem Komplex befreien werden. Diejenigen, die sich in den Tagen des Zorns auflehnten, sind mit vollem Recht stolz auf ihre Taten – unabhängig davon, ob sie bei der Beseitigung oder Reformierung ihrer erstarrten Regime erfolgreich waren oder nicht. Ungeachtet der Paranoia und der reflexhaften Neigung, für die Wirren im Anschluss an die Erhebung »verdächtige ausländische Elemente« verantwortlich zu machen, wird dieses Selbstbewusstsein langfristig helfen, etwas von den Ängsten und dem Argwohn gegenüber dem Westen zu zerstreuen, und Menschen erlauben, anderen Lebensweisen mit weniger Vorurteilen zu begegnen. Junge Ägypter und ihre Altersgenossen in der gesamten Region wissen ganz genau, wie Westler ihr Intimleben führen; es gibt Aspekte, die sie bewundern und nach denen sie streben, und andere, auf die sie gern verzichten. In einer Welt des sofortigen Zugriffs auf globale Informationen und Nachrichtenquellen über das Internet basieren ihre Entscheidungen auf Informationen, nicht auf Ignoranz – und es geziemt sich für Außenstehende, die mit großartigen Visionen von gesellschaftlichen, kulturellen und sexuellen Reformen in der arabischen Region aufwarten, die anderen Richtungen zu respektieren, für die sich die Einheimischen entscheiden mögen.
Die Welt hat sich verändert, seitdem ich mir vor fünf Jahren vornahm, das Intimleben der Ägypter und dabei auch mich selbst besser zu verstehen. Meine Reise durch die arabische Welt hat mich zweifellos verändert. Die überwältigende Herzlichkeit der Ägypter hat mir jegliche Reserviertheit und sämtliche Vorbehalte, die ich hatte, genommen, und ich bin dadurch zu einer leidenschaftlicheren, offeneren Person geworden. Als jemand, der fern von seinen Wurzeln in einem Ein-Kind-Haushalt aufwuchs, weiß ich jetzt, was es heißt, Teil einer Großfamilie zu sein, und kenne, bei allen Einschränkungen, die Zufriedenheit, die dies mit
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