Sex und Folter in der Kirche
erschrecken. Vor mir liegt ein Ausstellungskatalog. Er weist viele Photographien auf und hat ein ungewöhnliches Sujet. Keine mittelalterliche Tafelma-lerei, kein impressionistisches Werk. Der Katalog beschäftigt sich mit Folterwerkzeugen vom Mittelalter bis zum Industriezeitalter.
Die Ausstellung wurde 1983 in Florenz eröffnet. Sie ist beinahe über Nacht berühmt und in mehreren europäischen Städten gezeigt worden. Seit der Berliner Ausstellung von 1908/1909 über Wesen, Methoden und Wirkung der Heiligen Inquisition war etwas Ähnliches nicht mehr Ausstellungsgegenstand.
Fünfundachtzig Folterinstrumente, wichtige und weniger wich-
tige, aber immer praktisch erprobte, wurden gezeigt: Werkzeuge der Exekution, der öffentlichen Demütigung, der Folter von Menschen. Etwa drei Viertel der Maschinen waren Originale, die aus dem sechzehnten bis achtzehnten Jahrhundert des Abendlandes
stammen. Der Rest waren Nachbildungen, die für einschlägige
Sammler in den letzten hundertfünfzig Jahren angefertigt wurden.
Die Sammlung dieser Exponate, deren Großteil in den letzten Jahrzehnten durch die Antiquitätenläden der Welt gewandert war, ist heute einzigartig auf der Welt. Sie könnte als Grundstock für ein Museum in Europa dienen, das sich gegen die Folter wendet. Die Ausstellung war gedacht als ein eindringlicher Appell gegen die Verbrechen der Regierungen und der machtausübenden Institutionen zu allen Zeiten. Der Appell wurde fast einmütig von den
Kommentatoren und Rezensenten der Medien in Europa und in
den USA gerühmt. Eine wesentliche Wirkung hatte er nicht; die zeitgenössischen Folterer, ihre Kommentatoren, Rezensenten und Legitimierer lassen sich durch eine Ausstellung nicht einmal provo-zieren.
Für die Leserinnen des vorliegenden Buches ist hoffentlich die Frage schon nicht mehr interessant, warum beide Ausstellungen, die vom Beginn des Jahrhunderts und die aus den achtziger Jahren, ausgerechnet mit »Inquisition« überschrieben waren. Der Ausstellungskatalog antwortet für jene, die es noch nicht wissen: Es war nicht irgendein historisches Folterunternehmen in der Geschichte der Menschheit, sondern die christliche Inquisition35, deren gna-denlose Methoden erst im Holocaust von 1939 bis 1945 wiederaufgenommen wurden.36
Zur Einführung ein paar Daten aus der Papstgeschichte: Der
199
Triumph des Christentums über die sogenannten Heiden im vierten Jahrhundert hatte bereits ein Gefolge von bisher unbekannten Ket-zereien und Schamhaftigkeiten hinter sich hergezogen.37 Was jahr-tausendelang weder als geistige noch als körperliche Sünde gegol-ten hatte, konnte jetzt benannt, denunziert und verfolgt werden.
Christen wären die letzten gewesen, die hier etwas hätten durchge-hen lassen.38 Thomas von Aquino legitimiert die Anwendung von Gewalt gegen Unbußfertige.39 Konzilien und Synoden ordnen die Ausräucherung der Ketzernester an, fordern Exhumierung und
Einäscherung von Ketzerleichen.40
Wer aber waren Ketzer, die Jäger oder die Gejagten, die Opfer oder die Täter? Sebastian Franck entwickelt im sechzehnten Jahrhundert in seiner Chronik der Römischen Ketzer einen neuen Begriff. Der bedeutende Prediger erwartet, daß viele, die im Heiligen-kalender der Kirche stehen, beim Jüngsten Gericht verdammt werden, so die meisten Päpste, aber auch Thomas von Aquino. Und er entlarvt die Täter: Äußerlich scheuen sie die Gewalt, fließen über von Geist und Liebe, doch heimlich drücken sie dem jeweiligen Pilatus das Schwert in die Hand. Sie, die eigentlichen Mörder der Seelen und der Leiber, schufen eine hinterlistige, heuchlerische Doppelwelt. Nur in ihr können sie überleben.41 Voltaire: »Sie sehen zur Genüge, daß es der letzte Grad einer brutalen und absurden Barbarei ist, durch Denunzianten und Henker die Religion eines Gottes aufrechtzuerhalten, der selber durch Henker hingerichtet worden ist.«42
Lustvoll und fröhlich Katholische sind überheblich. Von der
Sache, vom Intellekt, von ihrer wissenschaftlichen, gesellschaftlichen oder kulturellen Leistung her haben sie keinen Grund: Im Gegensatz zu vielen der Opfer ist kein Name der Gottesjäger in das Buch der europäischen Geistesgeschichte eingetragen, und auch heute findet sich unter Kirchengläubigen keiner von Bedeutung.43
Es änderte sich seit Kaiser Julian nichts: »Unser ist die Literatur..., euer aber ist der Mangel an literarischer Kultur und rüde Unbildung, und eure Weisheit hat nichts, was über das Gebot ›Sei gläubig‹
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