Sexualitaet mit Leib und Seele
werden nach dem festgelegten »Erst du, dann ich«-Ablauf bestimmt noch darüber »schwatzen«. In den festgelegten Redeintervallen geht es einzig um das Erforschen und Austauschen von inneren Wahrheiten – jeweils eines Partners. Und oft ist es sogar leichter, etwas auszusprechen, wenn der andere nicht konkret darauf antworten darf.
4. Sie können es bei einer Redezeit für jeden belassen oder eine zweite Runde anschließen. Beenden Sie das Ritual, indem Sie sich gegenseitig bedanken.
Diese Gesprächsform macht uns zu besseren Zuhörern – anteilnehmend und respektvoll. Sie ist ideal, um sich über die persönliche Vergangenheit und Tabus auszutauschen.
Mit alten Schmerzen liebt sich’s schlecht
J eder von uns hat unangenehme Erinnerungen, wenn es um die eigene sexuelle Biografie geht. Manche sind scheinbar schnell vergessen, andere wirken lange prägend nach. Sie führten dazu, dass wir uns in bestimmten Bereichen zurück gezogen und Mauern gebaut haben, vorsichtig sind, über einige Dinge nicht sprechen, sie erst recht nicht fühlen wollen. Alle Vermeidungsbemühungen machen das Erleben mit unserem derzeitigen Partner aber enger, kleiner, weniger bunt. Der Partner bringt seine eigenen Verletzungen mit, samt den Bypässen, seinen Umgehungsstrategien. Deshalb ist die Grund lage unserer Partnersexualität manchmal recht schmal – vor lauter Hindernissen bleibt nicht viel Raum übrig.
Wenn es Ihnen gelingt, vergangene Schmerzen und Ver legenheiten in einer guten, vertrauensvollen Atmosphäre mit dem anderen zu teilen, wird auf dem Boden des Verständnisses Heilung wachsen. Und die macht frei – frei für offene, kreative Sexualität.
Über alte Wunden kann man nicht schnell mal am Frühstückstisch plaudern. Mit der »Erst du, dann ich«-Methode schaffen Sie die richtige Atmosphäre für ein solches Vergangenheitsgespräch.
Kommen Sie miteinander in Kontakt, indem Sie sich in die Augen schauen, bei den Händen fassen und wieder loslassen. Beginnen Sie zu sprechen, sobald die Zeit läuft. Zwingen Sie sich nicht, über ein bestimmtes Ereignis zu berichten, wenn es Ihnen (noch) unangenehm ist. Aber verharren Sie auch nicht im Schweigen, das tun Sie vielleicht schon viel zu lang. Fangen Sie mit einer harmlosen Story an: »Also, mein allererster Schwarm war nicht wirklich der Hit. Ich fand ihn zwar ganz nett, doch …«
Der Partner verfolgt einfach nur aufmerksam das, was Sie erzählen. Und dann gelangen Sie vielleicht vom ersten Zungenkuss mit Mundgeruch über den wunderschönen Sex mit Markus, der total süß war, zu Erlebnissen, die ganz und gar nicht schön waren – Nötigung, Abtreibungen, Abhängigkeiten. Bleiben Sie bei diesem Ritual strikt bei Erlebnissen aus der Vergangenheit und mit anderen Partnern – auch wenn Sie mit dem jetzigen schon zwanzig Jahre zusammen sind. Es geht darum, ein tieferes Verständnis dafür zu entwickeln, warum wir in der derzeitigen Beziehung so sind, wie wir sind.
Für den Partner ist es eine echte Herausforderung. Schließlich muss er neben den schlimmen Vorfällen auch verkraften können, dass es vor ihm vielleicht ebenfalls schöne Sexerlebnisse gab. Mit anderen Worten: Das Erzählte kann ihn verletzen. Konzentriertes, mitfühlendes und urteilsfreies Zuhören ist eines der größten Geschenke, das man einem Menschen machen kann. Es ist kostbar und schwierig gleichzeitig. Denn durch das Zuhören trägt man die Gefühle des anderen mit, und davor flüchten wir gern, indem wir zum Beispiel gute Ratschläge austeilen. Besonders bei schrecklichen Erlebnissen ist diese Versuchung groß. »Warum hast du damals nicht …« – Schlimmeres können Sie jemandem nicht sagen, der sich seit Jahrzehnten mit genau dieser Frage quält. Damit lassen sie ihn allein und signalisieren: »Ich hätte es besser gemacht!« Genauso kränkend ist das Beschwichtigen und Abwiegeln: »Lass doch gut sein, die Vergangenheit ist vorbei.« Es gibt nichts, was sich Betroffene sehnlicher wünschen, als dass die Vergangenheit vorbei sein möge. Aber prägende Ereignisse kann man nicht einfach verscharren, sie müssen ordnungsgemäß beerdigt werden und brauchen einen Grabstein, um sie am Spuken zu hindern. Einen liebevollen Zuhörer zu haben ist ein echter Segen bei diesem Prozess.
Nicht zu kommentieren, in verständnisreichem Zuhören zu bleiben, ist sehr anspruchsvoll. Aber lohnend! Wunden können dadurch geschlossen werden, es hilft, Illusionen loszulassen, auch, den notwendigen Grabstein zu setzen.
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