Sexualitaet mit Leib und Seele
die detailliertesten Anleitungen für ein abenteuerlicheres Liebesspiel nichts nützen. Ist das bei Ihnen der Fall, sind Sie nicht auf der Suche nach neuen Stellungen, nach einer äußeren Vermehrung von Variationen, sondern nach neuen Einstellungen, nach einer inneren Veränderung.
Dann wünschen Sie sich vielleicht, intensiv präsent zu sein.
In die
erotische
Gegenwart
kommen
Zu viel Sex im Kopf
Um sich innig und intensiv zu begegnen, muss man ganz und gar präsent sein. Was banal klingt, ist in der Praxis gar nicht so einfach, denn die möglichen Ablenkungen sind zahl reich in unserem aufregenden modernen Leben. Reize im Übermaß strömen ständig auf uns ein, unser Körperbild wird verzerrt, und durch die Dominanz des Visuellen geht die Wahrnehmung für den eigenen Körper unmerklich verloren.
Wir müssen uns dies bewusst machen, damit wir in der eigenen Lebensführung gegensteuern können – und in der Sexualität berührende Begegnungen erleben können statt oberflächlicher Happenings.
Bilder ersetzen die Wirklichkeit
Wir werden jeden Tag Hunderte Male verführt. Traumfrauen und Traummänner lächeln und locken, sie springen an sonnigen Stränden von Booten, wecken alle unsere Sehnsüchte mit ihren sexy Körpern und lassen uns jedes Mal abblitzen. »Wenn du das kaufst, kannst du es haben« – so funktioniert Werbung; sie kitzelt unsere Sexualität hervor und missbraucht sie. Wir werden ständig stimuliert, aber nie befriedigt. Es ist, als würden einem dauernd dampfende und wohlriechende Speisen unter die Nase gehalten, von denen man aber nicht essen kann. Wer Hunger hat, wird irgendwann wütend und gierig reagieren, wer satt ist, Desinteresse bis zum Widerwillen entwickeln.
All diese sexuellen Angebote werden uns von Wildfremden unterbreitet, die ungefragt in unseren persönlichen Raum eindringen und unsere Sinne belagern. Um uns davor zu schützen, schalten wir innerlich ab. Die Reizschwelle steigt ständig an. Das führt dazu, dass auch unser eigener Partner es immer schwerer hat, für uns erotisch interessant zu sein.
Die lächelnden Verführer aus Werbung und Medien sind stets attraktiver, als wir es jemals sein können, und mit enor mem Sex-Appeal ausgestattet. Je mehr perfekte Schönheit und Jugend zur Norm werden, desto weniger können wir mithalten. Dagegen ist der eigene Busen mickrig, und der Liebste trägt Waschbärbauch statt Sixpack unterm T-Shirt. Wie soll man da im heimischen Bett noch angemacht werden, wenn man auf der ganzen Linie bestenfalls zweitklassig ist?
Dem eigenen Partner fallen auch nie die richtigen Worte ein. Das können die Heldinnen und Helden aus Romanen und Filmen viel besser. Eine ganze Industrie ist darauf spezialisiert, Sehnsüchte zu erfassen und sie maßgeschneidert zu bedienen. Wenn dann die letzte Seite umgeblättert oder der Bildschirm ausgeschaltet ist, bleibt vom Glücksgefühl der perfekten Liebe nur die schale Gewöhnlichkeit des eigenen Daseins übrig. Kein Mann kann da gewinnen. Selbst wenn er gelegentlich an die Blumen denkt und ein romantisches Wochenende in Venedig. Und keine Frau hat eine Chance gegen die immer jungen, schlanken, faszinierenden, perfekt gestylten Schauspielerinnen und Pop-Ikonen.
Endgültig in die roten Zahlen gerät die Negativbilanz unseres erotischen Selbstbildes durch Pornos. Sie verseuchen die Schlafzimmer in ungeahntem Maße. Viele dieser Produktionen sind abstoßend primitiv, bestehen aus dem Durchspie len sämtlicher Stellungsvarianten in Form von seelenlosen Kopulationen. Doch selbst gut gemachte und vielleicht sogar geschmackvolle Variationen richten Schaden an. Pornos tragen stark dazu bei, dass sich unser Körperbild verzerrt und Praktiken zur Norm erklärt werden, die vor zwanzig Jahren noch kaum jemand interessiert haben, zum Beispiel Analverkehr. Dazu werden ständig die stärksten sexuellen Signale ausgesendet – grotesk gigantische Brüste, riesige erigierte Penisse, die jeden normal gebauten Mann verunsichern. Selbst wer davon kurzfristig angespitzt wird, im Ergebnis machen Pornos unser eigenes Begehren stumpf. Wenn man ständig extrem süße, überaromatisierte Bonbons lutscht – kann einen da ein Apfel vom Baum geschmacklich noch befriedigen?
Um in die erotische Gegenwart zu kommen und zum eigenen Partner eine wahrhaftige Verbindung aufzubauen, ist es wichtig, die verfremdenden Einflüsse zu reduzieren. Und dafür lieber den Reichtum unserer Sinne zu nutzen und auszukosten.
Spüren und nicht nur
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