SGK224 - Das Gespensterhaus an der Themse
Lautsprecherboxen.
Su Hang duckte sich.
Taubeneigroße
Kieselsteine schwirrten durch die Luft und flogen gegen ihren Kopf.
Es war, als ob
unsichtbare Hände sie bombardierten.
Was ging hier vor?
Das ganze Zimmer befand
sich in Aufruhr, und der Mann, den es am meisten traf, hockte schreckensbleich
mit zerzausten Haaren mitten im Bett, am ganzen Körper wie Espenlaub zitternd.
Der Mann war Ende
Fünfzig, hatte dunkles, leicht angegrautes Haar, eine hohe Stirn und ein
ovales, gutgeschnittenes Gesicht.
Die Bettdecke flog über
ihn hinweg. Der Mann duckte sich wie unter den Schlägen Unsichtbarer.
Su Hang warf sich nach
vorn, als der Spuk schlagartig aufhörte.
Keine Bewegung war mehr
in den Vorhängen, kein dumpfes Murmeln und Raunen, als ob unzählige Stimmen
sich miteinander unterhalten würden, und auch die Kieselsteine flogen ihr nicht
mehr um die Ohren.
Die Chinesin kümmerte
sich um den erschreckten und total erschöpften Mann.
Der atmete schnell, und
kalter Schweiß stand auf seinem Gesicht.
»Wie hat es angefangen ?« fragte Su Hang. »Warum ist es geschehen? Was wissen Sie
darüber? »
Der Mann öffnete die
Augen. Er schluckte trocken und schüttelte dann den Kopf. »Keine
Ahnung...Miß...«, entgegnete er mit belegter Stimme. »Ich habe so etwas...noch
nie erlebt...In diesem verdammten Zimmer...spukt es...«
Das hatte sie mit eigenen
Augen gesehen. »Danke...danke, dass Sie gekommen sind«, sagte der Fremde
unvermittelt. Seine Stimme klang immer noch brüchig, und man hörte aus ihr die
Angst, unter der er noch immer stand.
»Sie wollten mich
umbringen...« Mit diesen Worten hob er seine Rechte und tastete vorsichtig nach
seinem Hals. »Es schmerzt entsetzlich...es scheint, als hätte jemand mit harter
Hand zugedrückt...«
Geräusche waren plötzlich
hinter Su Hang.
Die Chinesin warf nur
einen kurzen Blick zurück.
Die beiden unmittelbaren
Nachbarn, die auf das Geschrei und das Rumoren hier im Zimmer aufmerksam
geworden waren, standen in dem großen, durch einen Vorhang abgetrennten
Vorraum.
Durch die Tür kamen in
diesen Moment zwei weitere Personen. Der Mann im dunkelblauen Anzug mit dezent
gemusterter Krawatte war der stellvertretende Geschäftsführer. Er wurde
begleitet von einer jungen Frau, die die typische >Hoteluniform< trug und
aussah wie eine charmante Hostess.
Kopfschüttelnd starrte
der Geschäftsführer die aus dem Schloss gerissene Tür an, murmelte etwas in
seinen Bart und beeilte sich dann, das Zimmer zu betreten, während er seiner
Begleiterin gleichzeitig einen Wink gab, die Tür zuzudrücken, damit nicht noch
weitere Neugierige auftauchten und einen Blick in den Raum warfen.
Der Chinese sah die
Zerstörungen, die offensichtlich mutwillig angerichtet waren.
Die Vorhänge waren zerrissen, der Nachtisch mit dem CD-Player umgefallen,
in der Ecke lag ein zusammengeknüllter Teppich, der nur mit größter
Kraftanstrengung in diese Lage gebracht worden sein könnte...
»Mister Henderson«,
wandte der stellvertretende Geschäftsführer sich an den Mann, dessen Atem
inzwischen ruhiger geworden war und der sich bemühte, das Grauen abzuschütteln,
unter dem er offensichtlich noch immer stand. »Können Sie uns erklären, was
geschehen ist ?«
Wieder die Rede vom Spuk!
Die Augen des Chinesen wurden groß.
William Henderson ließ
erkennen, dass er nicht mehr bereit war, auch nur noch einige Minuten länger
als unbedingt nötig in diesem seltsamen Zimmer zu verbringen.
Er packte seinen Koffer,
obwohl der Geschäftsführer sich bemühte, den offensichtlich gut zahlenden
Kunden zu halten.
»Wir werden Ihnen
selbstverständlich ein anderes Zimmer zur Verfügung stellen, Sir«,
unterbreitete er Henderson sein Angebot. »Sie wollen den Vorfall bitte
entschuldigen. Auch wir haben keine Ahnung davon, was hier geschehen ist. Sie
dürfen jedoch versichert sein, dass wir schnellstens alles in die Wege leiten,
um die Sache aufzuklären...«
Gutgemeinte Worte!
Aber wie wollte der Mann
die Dinge aufklären, fragte sich Su Hang.
Ihr kamen die Ereignisse
nicht minder seltsam vor wie denjenigen, die nun damit konfrontiert wurden.
Doch darüber hinaus
machte Su Hang sich - das brachte ihre Stellung als PSA-Agentin schon so mit
sich - noch weitere Gedanken.
Sie betrachtete William
Henderson, wie der Mann genannt worden war, aufmerksam.
Wusste er vielleicht doch
mehr, als er zugab?
Sie konnte diesen
Gedanken nicht so einfach von sich drängen und prägte sich das Gesicht des
Mannes ein.
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