SGK236 - Die Mordwespen des Dr. X
vermutlichen Dieb von
Sioban O’Haras Fahrzeug - war weit und breit nichts zu sehen.
Er war bis kurz vor Abusheen gefahren und hatte den gestohlenen
Wagen dann hier stehenlassen. Es war kaum anzunehmen, daß er seine Flucht zu
Fuß fortgesetzt hatte.
Oder etwa doch? Aus einem ganz plausiblen Grund heraus - weil der
Tank möglicherweise leer war?
Larry Brent machte die Probe aufs Exempel, stieg in den Wagen und
startete den Motor.
Das vertraute Geräusch kam sofort. Ein Jaguar hatte zwei Tanks.
Der eine war voll, der andere zu einem Drittel leer.
Nein - die ganze Sache hatte einen anderen Haken!
Warum hatte der Dieb den Wagen stehen lassen? Stammte er etwa aus
Abusheen und hatte seine Bedenken, mit dem teuren, auffälligen Fahrzeug ins
Dorf zu fahren, weil er damit rechnen mußte, daß man ihm unbequeme Fragen
stellte?
Dies - so fand Larry Brent - klang eigentlich noch am
vernünftigsten.
Er umrundete den Wagen und fand, daß der Fahrer sich
offensichtlich doch etwas dabei gedacht hatte, genau hier an dieser Stelle zu
halten und den Wagen abzustellen.
Neben dem Busch führte ein schmaler, holpriger Trampelpfad quer
durch eine Wiese.
Hinter einer Gruppe von Birken und verkrüppelten Buchen sah er die
Umrisse eines Schuppens.
Brents Augen verengten sich, als er nach drüben blickte. Er
reagierte intuitiv und betrat den Pfad.
Der führte um die Baumgruppe herum zu dem großen, wackligen Tor.
Von der anderen Seite des Dorfes gab es einen breiten, festgefahrenen Weg, der
deutlich machte, daß landwirtschaftliche Fahrzeuge offensichtlich von Fall zu
Fall hierherfuhren.
Das Tor war weder verriegelt noch verschlossen, es war nur
angelehnt.
Bevor Larry Brent den einen wackligen Flügel nach außen zog,
umrundete er den Schuppen und vergewisserte sich, daß sich auch niemand in der
Gegend verbarg.
Mehrere Male rief er Hallo, ohne jedoch ein verräterisches
Geräusch vernehmen oder eine Antwort auf seinen Ruf zu erhalten.
Er ging in die Scheune. Ein alter, rostiger Mähdrescher stand
links in der Ecke. An der Wand lehnten Rechen, Schippen und Spaten. Mehrere
Pferdekummets waren an großen, rostigen Nägeln aufgehängt.
Rechts war Heu gestapelt, dessen Duft Brent entgegenschlug.
Larry zog die beiden Flügel der Türen weit auf, um so viel
Tageslicht wie nur möglich einzulassen.
»Hallo ?« rief er in den Schuppen.
Seltsamerweise hatte er das Gefühl, daß sich dort jemand aufhielt. Und auf
seine Gefühle konnte er sich verlassen.
Er fing links an zu suchen und warf einen Blick neben das
aufgeschichtete Holz, hinter das Gerümpel, hinter den Mähdrescher.
Plötzlich vernahm er leises Rascheln. Das kam von drüben - aus der
Richtung, wo das Stroh lagerte!
Es war nur lose aufeinandergeschichtet.
Und es bewegte sich . jemand schien sich
aus der Mitte heraus einen Weg nach außen zu graben.
Mit schnellen Schritten war Larry Brent an der verdächtigen
Stelle, hielt seine Smith & Wesson-Laser in der Rechten und starrte auf das
Stroh, ohne jemand zu sehen.
»Wenn Sie sich darin verbergen - bitte kommen Sie jetzt heraus«,
sagte X-RAY-3 klar und unmißverständlich.
Er rechnete nicht damit, daß es sich um einen unverdächtigen
Bürger des Dorfes Abusheen handelte, der aus unerfindlichem Grund im Stroh
herumkroch. Am ehesten wäre es noch möglich gewesen, daß sich hier ein Kind
versteckte, weil es von anderen gesucht wurde.
Aber ganz ungefährlich war dieses Manöver nicht.
Kurz entschlossen nahm Larry Brent einen Rechen von der Wand und
begann das aufgeschichtete Stroh auseinanderzuziehen.
Da - stieß eine menschliche Hand hervor!
Dann eine zweite .
Die Hände bewegten sich und schoben langsam das raschelnde Stroh
beiseite.
Dann kam der Kopf.
Er war dunkel, blauschwarz, und lange Fühler ragten aus der Stirn.
Große, schillernde Facettenaugen richteten sich auf Larry Brent.
Dann bewegte sich das Wespenmaul, und eine krächzende Stimme war
zu hören.
»Sioban ... wo ist meine Tochter ... ich suche meine Tochter
Sioban ...«
X-RAY-3 hatte das Gefühl, als berühre ihn die Hand einer Leiche.
Er starrte auf die Gestalt, die sich aus dem Stroh befreite, in
das sie sich zuvor verkrochen hatte, als wolle sie sich vor der Welt verbergen.
Es war ein Mensch. Ein Mann. Er trug einen braunen Anzug und eine
beige Krawatte mit einem braun-gestickten Muster.
Das war die Kleidung, die Sioban O’Hara beschrieben hatte. Die
Kleidung ihres Vaters .
Aber dieser Mann war kein ganzer Mensch mehr. Der Kopf -
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