Shadow Guard: Die dunkelste Nacht (German Edition)
Euer Gnaden«, antwortete Kate fröhlich. Hannah nickte und knickste schüchtern.
Vor einigen Tagen hatte Selene eine Anzahl ihrer Kleider an die gegenüberliegende Wand gehängt, damit sich die Falten, nachdem sie im Koffer gelegen hatten, aushängen konnten.
Kate, offensichtlich die forschere der beiden, sagte: »Ihre Gewänder sind wunderschön. Haben Sie sie in London oder Paris machen lassen?«
»Wo immer ich gerade war.«
Selene konnte nicht umhin, wieder den verblassten und fadenscheinigen Zustand ihrer Kleidung zu bemerken. Sie saß schlecht und war viel zu groß, und sie konnte die schlichten Blusen und langen Röcke nur erahnen, die einst ihrer Mutter gehört hatten. Selbst als Kind war Selene immer prächtig gekleidet gewesen. Ihre Mutter hatte sie und ihren Bruder Mark als Trophäen ihrer Liebesaffäre mit Marc Antonius betrachtet, gerade so, wie ihr älterer Bruder, Caesarian, ihre Beziehung mit Cäsar repräsentiert hatte. Selbst nach Kleopatras und Marc Antonius’ Tod war Selene eine glamouröse Gefangene gewesen. Octavian hatte sie und Mark durch die Straßen paradieren lassen, seine Kriegsbeute, gefesselt mit Goldketten.
Sie hatte Kinder eigentlich sehr gern – sie hatte nur nicht viel Erfahrung mit ihnen.
Als sie sah, dass die Blicke der Mädchen wiederholt zu den Seiden-, Satin- und Taftkleidern an der Wand zurückkehrten, öffnete sie den zweiten ihrer Koffer und spähte hinein.
»Ich hatte vor, diesen Koffer auszupacken. Könntet ihr beide mir helfen?«
Beide Mädchen erröteten, und binnen einer Sekunde standen sie links und rechts von ihr. Sie hob ein rosenfarbenes Gewand hoch. Die Farbe erinnerte sie an Mrs Thrall an dem Nachmittag, als sie Bekanntschaft geschlossen hatten. Obwohl die Frau nichts getan hatte, um sie zu kränken, war die Erinnerung daran, wie die zierliche Blondine während ihres Besuchs neben Rourke auf dem Sofa gesessen hatte und ihn so bewundernd betrachtet hatte … nun, Selene hatte nicht vor, diesen Rosaton jemals wieder zu tragen.
»Ich weiß nicht, warum man mir dieses Gewand aus London nachgeschickt hat.« Sie seufzte. »Das Kleid ist zu klein für mich, müsst ihr wissen. Die Schneiderin hat den Stoff nach falschen Maßen zugeschnitten, aber ich war damals im Ausland, und als ich zurückkehrte, war es zu spät, um es zurückzuschicken.«
Kate biss sich auf die Unterlippe.
»Das ist eine schreckliche Schande«, erklärte Hannah, die anscheinend wahrhaft traumatisiert war.
»Mag eine von euch beiden Rosa?«
Ihre Augen weiteten sich und wurden so groß und aufgeregt, dass sie befürchtete, dass sie ihnen aus dem Kopf fallen würden. »Hier ist noch eins.«
Grün. Mrs Thrall hatte an diesem Nachmittag Hellgrün getragen. Auch Grün eignete sich wunderbar, um als Farbe für Selenes Neid hinzuhalten.
Selene wählte insgesamt vier Kleider aus, die bescheidensten von allen. Ihre arme Modistin in Paris bekam die Schuld an jedem »unvollkommenen« Gewand. Wenn man bedachte, wie viel Geld sie während der letzten Saisons an Selene verdient hatte, war es unwahrscheinlich, dass es der Frau auch nur das Geringste ausmachen würde.
Selene riss den Holzschrank auf. »Ich habe ein Nähkästchen hier.«
Elena, immer ein praktisches Mädchen, hatte das dumme Ding in einen der Koffer gepackt. Selene
wusste
nicht genau, was man mit dem Inhalt eines Nähkästchens machen konnte, aber sie gab es den Mädchen in der Hoffnung, dass sie die Änderungen selbst vornehmen konnten.
Hannah und Kate strahlten sie über die Haufen üppigen Stoffs in ihren Armen an. Nachdem sie neue Unterröcke auf jeden Stapel gelegt hatte, schickte sie sie mit der Anweisung, sich während des restlichen Nachmittags »auszuruhen« zur Tür hinaus, da sie alle am nächsten Tag zu dem Kirchbasar ins Dorf fahren würden.
Wieder erwies sich Langweilmoor als passender Name für das Dorf. Jeder andere hätte, wenn er die Freude in den Gesichtern der Mädchen beobachtet hätte, gedacht, dass sie zu einem der berühmten Feste von Lady Kerrigan in der Curzon Street eingeladen worden waren.
Selene schloss die Tür und legte sich auf ihr Bett. Diese Großzügigkeit war ein gutes Gefühl gewesen, befriedigend, ebenso, wie zu wissen, dass ihre gespendeten Besitztümer bei dem Erwerb eines neuen Kirchturms helfen würden.
»Lieber Gott.« Sie kicherte und starrte zu der hohen Decke mit den Balken empor. »Gott sei Dank hat niemand das gesehen.«
Ein Hauch von Duft lenkte ihre Aufmerksamkeit auf ihren
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