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Shadow Guard: Die dunkelste Nacht (German Edition)

Shadow Guard: Die dunkelste Nacht (German Edition)

Titel: Shadow Guard: Die dunkelste Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Lenox
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sie in ihrem Bett lag. Die Nebenwirkungen der Impfung schienen sich insofern gelegt zu haben, als sie nicht mehr das Bedürfnis hatte, so tief zu schlafen oder so lange. Stattdessen lag sie lange wach, wie sie es von ihrer Kindheit her kannte. Rourke zog sich erst spät nachts in sein Zimmer zurück, wahrscheinlich, weil er dachte, dass sie bereits schlief. Sie hörte ihn durch den Spalt zwischen Wand und Decke. Er sprach nicht; es waren nur die Geräusche seines Betts, das knarrte, und seiner Laken, die raschelten, wenn er sich umdrehte. Einmal schnarchte er, und aus irgendeinem Grund entlockte ihr das ein Lächeln. Es machte sie noch einsamer.
    Und doch suchte sie an diesem Morgen, nachdem sie sich angekleidet hatte, bewusst nach ihm. Gewohnheitsmäßig begann er jeden Tag in seinem Arbeitszimmer, ging die nächtlichen Berichte aus London durch, sowohl von den Ahnen als auch von den Raben, und bereitete seinerseits seine Befehle an die Raben vor. Und in der Tat – als sie sein Arbeitszimmer betrat, saß er an seinem Schreibtisch. Eine Art bronzener Helm bedeckte Leesons Kopf wie eine Hörmuschel. Er murmelte unverständlich vor sich hin, zumindest für sie unverständlich. Im Gegensatz zu Leeson war sie keine Uralte – eines der neununddreißig überlebenden Wesen, die seit Anbeginn der Zeit als Amaranthiner existierten –, und deshalb konnte sie nicht verstehen, was er sagte. Man konnte die Sprache anderen einfach nicht beibringen. Sie war angeboren.
    Rourke sah ihr in die Augen. »Guten Morgen, Selene.«
    Sie konnte nicht umhin zu bemerken, dass seine Aufmerksamkeit ihren Lippen galt und sein Blick herabwanderte, als wollte er sie einsaugen. Obwohl sie das elektrisierte, wappnete sie sich mit Ablehnung.
    Er hatte kein Recht, sie so anzusehen. Beinahe hätte sie es ihm gesagt, entschied aber, dass es besser war, einfach so zu tun, als habe sie es nicht bemerkt.
    Mit einer Neigung des Kopfs erkundigte sie sich: »Gibt es irgendeine Nachricht?«
    Leeson würde ihr keine Einzelheiten nennen; das wusste sie. Nicht bis er die Freigabe der Ahnen dafür hatte. Er hatte ihr jedoch seit ihrer Ankunft genug allgemeine Dinge verraten, um ihre Neugier über den Stand der Angelegenheiten in London zu befriedigen.
    Er beugte sich auf seinem Stuhl vor. »Archer schickt Kunde, dass fast das gesamte Auge des Pharaos aus der Themse geborgen wurde.«
    Das Auge des Pharaos war ein mächtiger Spiegel, der einst im legendären Leuchtturm von Alexandria in Ägypten benutzt worden war. Im dritten Jahrhundert vor Christus hatte er ein helles Licht über den Ozean geworfen und alle hereinkommenden Schiffe geleitet. Sein intensives, reflektierendes Licht und die Hitze, die er als Brennspiegel abstrahlte, konnten außerdem als Waffe gegen angreifende Flotten oder Armeen benutzt werden. Tantalos’
Brotoi
und die Dunkle Braut hatten danach getrachtet, das Auge als eine Waffe zu benutzen, um die Herrschaft über London zu erlangen. Wochen zuvor, als die Schattenwächter gegen sie gekämpft hatten, war der Spiegel in der Themse versunken.
    »Warum sagen Sie ›fast das gesamte Auge‹?«
    »Anscheinend ist der Spiegel zersprungen, als er in den Fluss fiel. Die Ahnen mussten die Nereiden um Hilfe bei der Suche und Zurückgewinnung aller Einzelteile bitten.«
    »Sie mögen kleine, glitzernde Dinge tatsächlich gern«, meinte Selene. »Trotzdem, die Themse ist schmutzig. Ich kann mir kaum vorstellen, wie schwierig es war, jeden Splitter zu finden.«
    »Abgesehen von dieser Neuigkeit vermuten sie, dass ein weiterer
Brotos
auf freiem Fuß ist. Ihre Vollstrecker haben eine mächtige Spur aufgenommen, nur von einem einzigen …
    »Oder einer einzigen«, sagte Selene. Sie hatte die Erfahrung gemacht, dass die weiblichen
Brotoi
genauso blutdürstig sein konnten wie die männlichen.
    »Richtig.« Rourke zeigte mit der Spitze seiner Schreibfeder auf sie. »Aber er oder
sie
verschwand in Whitechapel.«
    Selene nickte. Zweifellos würde Whitechapel das Jagdrevier von Tantalos’
Brotoi
bleiben. Das geballte Elend in diesem von Armut gebeutelten Bezirk, den die Verzweifeltsten der Armen, die Vergessenen von London bewohnten, sicherte ihnen ein Versteck. Die Jagdfähigkeiten eines Vollstreckers beruhten zu einem gewissen Teil darauf, Gefühle und Gedanken wahrzunehmen – oder die absolute Abwesenheit selbiger, die transzendierende Seelen kennzeichnete. Wenn sich solch verderbte Seelen unter abgestumpfte Menschen mischten, wurde die Fähigkeit der

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