Shadow Guard: Die dunkelste Nacht (German Edition)
Lederbeutel aus der Hosentasche.
Er richtete das Wort an die drei Kinder. »Mr Leeson sagte mir, wie hart ihr alle während der letzten Tage gearbeitet habt, um ein schmutziges, zuvor von Katzen verdrecktes Haus in Ordnung zu bringen.« Er drückte jedem der Kinder einige Münzen in die Hand. Die Geschwister lachten einander an. »Dies ist nicht Teil eures wöchentlichen Lohns, sondern eine Ergänzung. Ein Wort der Vorsicht – gebt nicht alle eure Münzen für Süßigkeiten aus.«
Selene verspürte den überwältigenden Drang, ihn fest auf den Mund zu küssen. Aber das war natürlich nicht möglich. Stattdessen stülpte sie den breitkrempigen Strohhut auf ihren Kopf und wandte das Gesicht ab, damit er ja nichts von ihrer Bewunderung bemerkte.
Während die Männer erklärten, dass sie beim Hufeisenwerfen mitmachen wollten, machten sie und die Mädchen sich auf den Weg zum Trödelmarkt. Unterwegs lächelte Selene und begrüßte alle Damen aus dem Dorf, die sich umdrehten, um ihr Gewand anzustarren, und ignorierte höflich alle Männer, die das Gleiche taten.
Inmitten einer Traube von Frauen erkannte Selene die beiden ältlichen Matronen, die ihr vor ein paar Tagen bei dem Lebensmittelhändler die Eier verkauft hatten. Sie blieb stehen, um sie zu begrüßen und um ihr Erstaunen über die Größe, den Geschmack und die Qualität der Eier kundzutun. Das verschaffte ihr einige neue Bekanntschaften. Als sie aufblickte, sah sie, dass Hannah und Kate weitergegangen waren, um zwischen den Tischen hindurchzuschlendern, auf denen Waren zum Verkauf ausgebreitet waren.
»Gräfin«, erklang eine Frauenstimme. Sonnenlicht glänzte auf blondem Haar. Mrs Thrall winkte ihr von der Treppe der Kirche aus zu.
Selene marschierte über den Rasen zur Kirche. Mrs Thrall, grün gekleidet – in einem Grün, das eindeutig Avenage gefallen sollte –, griff nach ihrer Hand. »Ich möchte Sie wissen lassen, meine liebe, neue Freundin, dass bereits fast alle Ihre Juwelen verkauft wurden – wahrscheinlich zu erstaunlich niedrigen Preisen –, aber wir haben bereits das Doppelte der Summe beisammen, die notwendig ist, um den Kirchturm zu ersetzen. Der Pfarrer ist absolut außer sich vor Glück.«
»Ich bin so froh, das zu hören, Mrs Thrall.«
»Bitte, wir sind nicht in einem Londoner Salon, sondern in Dornenmoor. Sie müssen mich Dora nennen.«
»Und Sie müssen mich Selene nennen.«
Es schien nur richtig, eine vertraulichere Anrede anzubieten.
Dora zog sie zu einer Gruppe von Stühlen, die auf dem Rasen aufgestellt worden waren. Dort saß eine Gruppe Damen mit Stickrahmen auf dem Schoß und stach Nadeln in aufgespannte Leinenquadrate.
Dora schwärmte: »Ihr müsst kommen und das entzückende Werk der Dorfdamen bewundern.«
Oh je. Nadelarbeit.
Alles, nur nicht das.
Selene schaute über die Schulter und suchte verzweifelt nach Hannah und Kate. Als sie sie nirgendwo entdeckte, antwortete sie: »Vielleicht nachher.«
Nachdem sie eine Stunde lang Hufeisenwerfen und eine Anzahl anderer ländlicher Spiele gespielt hatten, hatte Rourke Nathan und Leeson an einem der überfüllten Tische allein gelassen, wo sie sich an Fleischpasteten gütlich taten. Er hatte sich auf die Suche nach Selene und den Mädchen gemacht, um sich davon zu überzeugen, dass sie sicher und wohlauf waren. Trotz des Anlasses für die Versammlung, die für den Ersatz ihres vom Blitz gefällten Turms rund um die Kirche stattfand, waren ihm hier und da ein paar Betrunkene aufgefallen, und er fragte sich, ob Nathans Stiefvater erscheinen und Ärger machen würde. Er hatte allen drei Kindern angesehen, dass sie ebenfalls diese Befürchtung hegten.
Gegenwärtig stand er im Schatten eines großen Baums und beobachtete Selene. Es sah so aus, dass ihre letzten Juwelen von einem buckligen alten Bauern für seine bucklige alte Ehefrau gekauft worden waren. Die Gräfin schien völlig in ihrer Dienstbarkeit aufzugehen, sie hatte die Kette selbst eingepackt und das strahlende Ehepaar seiner Wege geschickt, bevor sie unter den anderen Dorffrauen Platz genommen hatte.
Das Nachmittagslicht war weicher geworden, und sie hatte ihren Hut abgelegt. Er baumelte an einem breiten Samtband von ihrem Knie. Im Moment schien sie ein lebhaftes, schelmisches Mädchen in einer Gruppe älterer, verheirateter Frauen zu sein. Er mochte ihr gelbgrünes Gewand recht gern, und das Gleiche galt anscheinend für alle anderen Männer des Dorfs – falls die Gedanken, die er auf dem Kirchhof aufgeschnappt
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