Shadow Guard: Die dunkelste Nacht (German Edition)
hatte, ein Maßstab waren.
Gott, wie er sie begehrte – er hatte keine Ahnung, wie viel länger er sich noch fernhalten konnte. Er hatte beschlossen, am nächsten Morgen bei den Ahnen zu beantragen, entweder einen Ersatzschattenwächter für sie zu bestimmen oder darum zu bitten, ob man sie vielleicht in Leesons kompetenteren Händen zurücklassen konnte. Am liebsten würde er allerdings den Rat bedrängen, ihnen allen zu erlauben, nach London zurückzukehren. Selene hatte keine Anzeichen von Transzendierung gezeigt, und auch wenn ihre Kräfte nicht zurückgekehrt waren – wer konnte sagen, ob sie das jemals tun würden? Sie konnte nicht ewig auf Swarthwick bleiben. Wer wusste, wie lange diese Sache mit Tantalos noch andauern würde? Jahrzehnte? Vielleicht Jahrhunderte? Irgendetwas musste sich ändern.
Wenn es so weiterging wie bisher, würde er sie noch vor dem Ende der Woche angefleht haben, ihn wieder in ihr Bett zu lassen. Er durfte nicht zulassen, dass das geschah.
Es ging nicht um den Sex. Er befriedigte sein Verlangen ausgiebig an anderen Frauen und hielt sich niemals zurück, den Akt zu vollenden, wie er es bei Selene getan hatte. Aber diese Frauen waren gesichtslos gewesen und, wohlausgewählt, hellhaarig. Für ihn verschmolzen sie auf eine Weise mit der Geliebten seiner Albträume, dass er niemals wahres Vergnügen oder Intimität erlebte, indem er den Akt vollzog, den Akt der … Liebe?
Nein, niemals. Der Unterschied zu Selene … Verdammt! Sein Magen krampfte sich zusammen.
Er
sah
sie. Fühlte sie. Es schmerzte ihn im Innern, zu wissen, dass sie auf der Erde existierte, ihm so nahe – und dass er sie nicht berühren konnte. Nicht auf die Art, wie er es sich so verzweifelt wünschte.
Acht Jahrhunderte zuvor, als er gespürt hatte, wie das Feuer und der Schmerz der Unsterblichkeit sein sterbliches Blut verzehrten, hatte er ein Gelübde abgelegt, ewig allein zu bleiben, als Buße für seine Sünde. Und er hatte verstanden, dass die einzige Möglichkeit, jemals die Unsterblichkeit zu verlassen, der Tod sein würde – und eine zuverlässige Befreiung, die ihn im Höllenfeuer erwarten würde.
Man vergaß ein solches Gelübde nicht einfach. Er sagte sich manchmal, dass er die Dinge geradeso gut geschehen lassen könnte, wenn man bedachte, wie viele Male er sie in seinen Träumen und in seinen Fantasien geliebt hatte. Die Konsequenzen konnten wohl kaum schlimmer sein als seine gegenwärtige Qual.
Plötzlich sprang Selene in einem gelbgrünen Wirbel auf und ließ ihren Hut und ihren umgekippten Stuhl hinter sich zurück. Sie kam über den Kirchhof.
Sein Blick wanderte zur Ursache ihrer Sorge. Ein Schrank von einem Mann zog Hannah und Kate auf einen Wagen zu – er hatte die Hände in ihr Haar gekrallt. Es war Nathans Stiefvater.
Rourkes Zorn flackerte wieder auf – er konnte sich zwar nicht daran erinnern, wie groß der Mann gewesen war, aber er überragte die Mädchen, während sie stolperten und versuchten, mit seinem langbeinigen Schritt mitzuhalten.
Rourke konnte nicht in Schatten wechseln und binnen einer Sekunde dort sein, nicht vor aller Augen. Stattdessen rannte er zu Fuß auf sie zu.
»Sie da«, brüllte Selene. »Halt.«
Hannah schluchzte. Selene sprang den Mann rücklings an. Sofort ließ er die Mädchen los, griff aber über seine Schultern, um Selene zu packen. Er wirbelte herum und riss sie von sich weg. Sie landete der Länge nach auf dem Kies. Die Mädchen krochen auf sie zu. Plötzlich schnellte sein Arm hoch, und Metall blitzte auf – ein Messer. Menschen riefen. Schrien. Der Geruch von Schreck und Furcht lag in der Luft.
Der Stiefvater der Mädchen sprang auf die Kinder zu und ließ das Messer heruntersausen, aber Selene warf sich über sie.
Rourke erreichte sie.
Ein Arm schwang vor, und eine Hand schlug dem Bastard flach auf den Rücken. Nicht
seine
Hand.
Silverwest, das Gesicht vom Zorn verzerrt, riss den benommenen Mann auf die Füße und begleitete ihn an den Rand des Kirchhofs. Dort übergab er ihn ein paar Männern, die sich schnell zusammengerottet hatten und die ihn auf seinen Wagen bugsierten. Jemand schlug auf das Hinterteil seines mageren Pferds, und sie alle gingen davon und begleiteten einen halb bewusstlosen Rohling zum Ortsrand.
Rourke holte das Messer und kniete sich neben Selene und die Mädchen. »Hat er euch wehgetan?«
Silverwest bückte sich und bot ihr die Hand. Selene nahm sie an, und er zog sie hoch. »Gräfin Pawlenko. Mädchen. Seid ihr
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