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Shadow Guard: So still die Nacht (German Edition)

Shadow Guard: So still die Nacht (German Edition)

Titel: Shadow Guard: So still die Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Lenox
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gehörte. Es war nicht das erste Mal, dass er sie gehört hatte, das Flüstern und die verschlagenen Anweisungen. Manchmal gehörte die Stimme einem Mann. Manchmal waren es mehrere. Heute Abend … die Stimme war eindeutig weiblich. Samtweich bot sie ihm nicht nur üble Vorschläge, sondern auch grelle Bilder und drängte ihn, außerordentlich verderbte Dinge zu tun.
    Er hatte den starken Verdacht, dass sein kurzer Gewaltausbruch vor wenigen Momenten den Räuber in ihm geweckt hatte, wenn auch nur einen Bruchteil des Ungeheuers, zu dem er werden konnte. Mit dieser leichten Hinwendung zu der Frau musste er seinen Geist dem Wahnsinn im Inneren geöffnet haben, also kehrte er am besten aufs Boot zurück, und zwar schnell.
    Von dieser Beschäftigung mit sich selbst lenkte ihn eine andere Frau ab, vielleicht wegen der Art, wie das Licht auf ihrem leuchtenden rotgoldenen Haar glänzte. Sie war Anfang zwanzig, stand in der offenen Tür und musterte die Gäste. Dunkle Augenringe zeugten von Müdigkeit, und von den Schultern hing ihr ein Ulster-Mantel, der viel zu groß war für ihre Gestalt und unter dem ein brauner Wollrock hervorlugte. Am Rock hingen Grashalme, als hätte sie den Tag und vielleicht die vergangene Nacht an den Ufern der Themse zugebracht.
    »Was sagen Sie?«, flüsterte die Frau direkt an seinem Ohr. Auf seinem Hals fühlte er ihren heißen Atem. Ein Pulsieren regte sich in seinen Lenden. Verschlingen. Verschlingen. Verschlingen. »Wollen Sie es mal mit Annie versuchen? Es wird Ihnen nicht leidtun.«
    Das Mädchen mit den leuchtend roten Haaren kam quer durch den Schankraum, und ein gezwungenes Lächeln umspielte ihre farblosen Lippen. Sie schlenderte zu dem nächsten der beiden Matrosen hinüber und legte ihm eine Hand auf den Arm.
    Annies Hand glitt jedoch unter die Abdeckung der Theke und presste sich gegen seinen Oberschenkel. Seine Sicht trübte sich, und er stellte sich vor, er wäre woanders, mit jemand anderem. Der Gedanke, sich in seiner falschen Mina Limpett zu verlieren und seine Probleme zu vergessen, und sei es auch nur für eine Viertelstunde, barg einen schmutzigen Reiz.
    »Ich sagte nein«, rief ein Mann.
    Alle Gespräche im Raum verebbten.
    Der Matrose starrte das Mädchen böse an. »Kein Interesse. Gibt es daran irgendwas, das du nicht verstehst?«
    Mark beobachtete das Mädchen. Ihre Wangen wurden apfelrot, und ihre Augen trübten sich von ihren Tränen. Langsam zog sie sich zur Tür zurück und verschwand in die Nacht.
    Die Intensität ihrer Verzweiflung ließ Marks Erregung abklingen. Er packte Annies Handgelenk und stieß sie von sich.
    Wem versuchte er etwas vorzumachen? Die Frau an seiner Seite würde ein Kissen über dem Gesicht brauchen. Wie konnte er nur auf die Idee kommen, sie würde Mina Limpett auch nur ansatzweise ähneln? Er warf einige Münzen auf den Tresen und stand auf. Die Prostituierte verfluchte ihn.
    Der Raum blitzte orangefarben auf – als würde er von einem unsichtbaren Feuerball erhellt.
    Er beschirmte die Augen mit der Hand. Hitze, gewaltiger als eine Wüstensonne, versengte seine Haut und erhitzte seine Kleider.
    Skelette. Jeder in der Bar … ein Skelett. Mark riss die Augen auf und versuchte, den Augenblick zu begreifen. Sie waren nicht wirklich Skelette. Stattdessen machte das seltsame orangefarbene Licht ihre Haut und ihre Muskeln durchsichtig. Überall um ihn herum redeten und lachten die Gerippe, als sei das Schauspiel eine surreale Karikatur der Normalität. Sie tranken mit Hüten auf ihren Köpfen und Uniformen oder Kleidern oder was auch immer für Gewänder von ihren klapperdürren Körpern hingen.
    Jemand zupfte an seinem Jackenärmel. Die Prostituierte stand hinter ihm. Ihre krallenartigen Hände ruhten auf den Schmetterlingsknochen ihres Beckens. Ihre tief in den Höhlen liegenden Augen sahen ihn an, und ihre gelben Zähne klapperten.
    »Hast du deine Meinung geändert, Schätzchen?«
    Der Wirt warf seinen weißen Schädel in den Nacken und stieß ein gackerndes Lachen aus.
    Mark floh durch die Tür hinaus in die Nacht. Er beugte sich vor, stützte sich mit den Händen auf den Knien ab und rang nach Luft. Seine Gedanken rasten, so als würden sich unzählige Ohrenkneifer in seinen Schädel fressen und tausendfach vermehren. Er schaute durch das Fenster in den Pub und sah alle Kneipenbesucher … wie sie zuvor gewesen waren.
    Keine Skelette. Kein wahnsinniges Gelächter.
    Seine Haut wurde klebrig … kalt und heiß gleichzeitig. Von einer dunklen

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