Shadows Lost (Vampirkurzgeschichte)
hinter ihr die Treppe hinauf. Sie kamen an vielen verschlossenen Türen vorbei, und dahinter vernahm Cathrine die Stimmen, doch sie sprachen in einer Sprache, die sie nicht kannte. Sie versuchte sie geflissentlich zu ignorieren und sich nicht ablenken zu lassen. Doch dem betörenden Blutgeruch konnte sie kaum noch widerstehen. Er wurde mit jedem Schritt stärker. Ihre Kehle wurde ganz trocken, und ihre Eckzähne begannen zu wachsen. Cathrines Blutdurst war geweckt, und er würde erst verschwinden, wenn sie von dem roten Lebenssaft getrunken hatte.
Im selbem Moment, als ihre Gier erwachte, passierte es. So schnell, dass selbst Cathrine nicht mehr rechtzeitig reagieren konnte. Binnen eines Augenblicks rissen ihr muskelbepackte Arme und Hände das Schwert fort, andere nahmen sie von hinten fest in einen stahlharten Klammergriff. Überrascht schrie sie auf. Gurgelgeräusche drangen an ihr Ohr, die abrupt endeten, dann stöhnte jemand, und leblose Körper fielen achtlos zu Boden. Zur gleichen Zeit tauchten fremde Gesichter im Dunkeln auf. Mindestens fünfzehn Vampire glitten aus der Schattenebene heraus, ebenso viele näherten sich ihr von den Seiten.
Ihr Blick richtete sich stur geradeaus. Am Ende des Flures war eine Tür geöffnet worden, und die Silhouette eines großen Mannes zeichnete sich ab. Ganz langsam kam er näher, und sie konnte immer mehr Details erkennen. Langes, dunkles Haar reichte ihm fast bis zu den Kniekehlen, und er trug eine weinrote Samtrobe. Darunter lugten schwarze Lederstiefel hervor. Aber in erster Linie konzentrierte sie sich auf sein Gesicht. Seine Lippen schienen bläulich, und doch war es auf unerklärliche Art wunderschön und einzigartig. Es strahlte etwas Geheimnisvolles aus, und das lag nicht nur an seiner Existenz als Schattenvampir.
Vor Schreck zuckte Cathrine zusammen, und trotzdem starrte sie ihn mit unverhohlener Neugier an. Sie verdrängte dabei ihre wachsende Angst, denn sie wusste, diese würden nur ihren Zorn nähren, aber sie benötigte einen klaren Kopf, wenn sie dieses Haus lebend wieder verlassen wollte. Sie konnte sich keinen Fehler erlauben.
»Cathrine … Cathrine … Cathrine …«, vernahm sie Annicius’ vertraute Stimme. Sie klang wehmütig. »Ehrlich gesagt hatte ich mir schon lange gewünscht, dich wieder in meine Arme schließen zu können. Dass es heute endlich soweit ist, überrascht mich doch ein wenig. Aber ich habe nie an dir gezweifelt.«
»Tja, so schnell kann’s passieren«, gab sie bissig zurück.
Annicius sollte nicht erfahren, wie sie wirklich fühlte. Enttäuschung, Hass, Liebe, Furcht, Wut und Traurigkeit wechselten sich in rasendem Tempo ab. Jede Emotion wollte die Oberhand gewinnen. Aber Cathrine war stärker, und Sarkasmus bot ihr schon immer die Möglichkeit, sich zu verstecken. Er war ihr Schutzschild und gewährte ihm keine Angriffsfläche.
»Du hast dich kein bisschen verändert«, sagte er lächelnd. Es war aufgesetzt, genauso wie seine geheuchelte Freundlichkeit. Er beobachtete sie ganz genau. »Immer bist du da, wo du nicht sein solltest. Aber dafür bist du hübscher, als ich es in Erinnerung hatte. Ich begrüße dich herzlich in meinem Haus.«
Während er sprach, gab er dem Vampir, der Cathrine festhielt, ein Zeichen, und sein Griff lockerte sich, aber er ließ nicht los. Ringsherum starrten schwarze Augen sie an. Der Hass von Annicius’ Vampirbrut auf Cathrine war unverkennbar.
»Du bist gekommen, um mir ein einmaliges Artefakt zu stehlen«, fuhr er in einem Plauderton fort, als würde er über das Wetter reden. »Cathrine … Cathrine … Cathrine, du bist unverbesserlich. Dein Zorn auf mich hat dich blind gemacht, sodass du Freund und Feind nicht mehr zu unterscheiden vermagst.«
»Obwohl mein Bruder von Anfang an sehr optimistisch war, als er mir von dir erzählte«, erklang plötzlich eine weitere Stimme. An Annicius’ Seite tauchte plötzlich ein weiterer Vampir auf und positionierte sich mit siegessicherem Lächeln neben ihm. »Ich war skeptisch, muss ich gestehen. Nun ja, mein Bruder kennt dich besser als ich. Er ist ja auch dein Schöpfer.«
Wie versteinert stand Cathrine da und wünschte sich, alles nur zu träumen. Sie war auf einen Trick hereingefallen und hatte es nicht einmal bemerkt. Schockiert und wütend über sich selbst ballte sie die Hände zu Fäusten.
Warum war sie nur so dumm gewesen!
»Aber um der Gerechtigkeit genüge zu tun«, meldete sich nun wieder Annicius zu Wort, »Shamash hat von Anfang an an dich geglaubt.
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