Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
Vom Netzwerk:
bin und wann nicht. Ich werde es wiedergutmachen. Ich weiß auch schon wie. Du mußt mit Desdemona sprechen. Sie allein hat Einfluß auf Othello.« – Michael Cassio hat bisher noch gar nicht so richtig registriert, was für ein guter Freund dieser Jago ist. – »Ich werde«, fährt dieser Freund fort, »ein Treffen mit Desdemona arrangieren. Sie wird dich anhören, und sie wird beim General ein gutes Wort für dich einlegen.«
    Jagos Frau Emilia ist eine Freundin und Vertraute von Desdemona, eine Bedienstete zwar nur, aber auf niemanden hört die Gemahlin des Generals mehr als auf sie. Emilia bittet, und Desdemona gewährt. Sie mag den Michael Cassio, sie ist ihm gern behilflich. Sie weiß auch, daß ihr Mann, Othello, den Michael immer noch liebt, daß es ihm inzwischen wohl schon leid tut, daß er den Freund degradiert, daß er die Freundschaft aufgekündigt hat.
    »Ich will gern mit Michael Cassio sprechen«, sagt sie.
    Ein Termin wird vereinbart.
    Während Desdemona Michael Cassio in ihrer Wohnung empfängt und sich seine Sorgen anhört, besichtigen Jago und Othello die Wehranlagen. Auf Vorschlag Jagos. Othello sieht nicht ganz die Notwendigkeit einer solchen Inspektion ein, aber er möchte nicht den Eifer seines neuen Leutnants brüskieren. Es wird ja nicht lange dauern. Othello möchte zu seiner jungen Frau. Jetzt, da der Krieg ausgefallen ist, kann man ja den Aufenthalt auf Zypern durchaus als Urlaub gestalten. Flitterwochen, wieso nicht? Wenn man nur nicht dauernd gestört würde dabei. Wehranlagen besichtigen geht ja noch, aber solche Szenen wie gestern nacht mit diesem undankbaren Michael Cassio … In Gedanken versunken geht Othello neben Jago her, hört sich nur mit halbem Ohr an, was der zu sagen hat über Mauerstärke und Abstände zwischen den Kanonen.
    Und dann ist die Besichtigung zu Ende. Das Gespräch zwischen Desdemona und Michael Cassio ist ebenfalls zu Ende, und Jago hat es so eingerichtet, daß er und Othello just in dem Augenblick vor dem Haus des Generals ankommen, als Michael Cassio von Desdemona an die Tür ihres Hauses gebracht wird. Jago ist mitten in der Erläuterung einer Verteidigungsstrategie, da unterbricht er sich selbst.
    »Ah!« Und er gestaltet diese Selbstunterbrechung als ein Selbstgespräch. »Das gefällt mir nicht.« Er nuschelt, spricht leise, aber eben doch so laut, daß Othello ihn verstehen kann.
    »Was gefällt dir nicht?«
    »Wie?«
    »Du hast soeben gesagt: Ah! Das gefällt mir nicht.«
    »Hab ich? Nichts … es ist nichts. Es ist nur …«
    »War das nicht der Cassio, den ich da gesehen habe?«
    »Der Cassio?« reagiert Jago, als wisse er von nichts.
    »Ja, der Cassio, wie er sich von meiner Frau verabschiedet hat.«
    »Der Cassio?«
    »Ja, der Cassio! Und du hast ihn auch gesehen. Und als du ihn gesehen hast, hast du gesagt: Ah! Das gefällt mir nicht.«
    »Nein«, tut Jago, als ob er stammelt, »das … das … war nicht der Cassio. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Michael Cassio so heimlich wegschleicht von Eurer Frau.«
    »Heimlich?« Da muß Othello schlucken. »Ist er heimlich weggeschlichen? Ich dachte, er ist einfach nur weggegangen. Heimlich? Warum sollte er heimlich?«
    Aber da kommt schon Desdemona auf die beiden zu, und sie nimmt ihren Mann dem Jago weg – was dem ganz recht ist.
    »Bitte«, schmeichelt Desdemona, »bitte, mein lieber, schöner Othello. Der Michael war eben bei mir. Er hat einen Blödsinn gemacht, er weiß es. Es tut ihm so leid. Er will dich um Verzeihung bitten. Er möchte mit dir sprechen, heute mittag.«
    »Nein«, sagt Othello, »heute mittag geht es nicht!«
    »Dann heute abend.«
    »Heute abend geht es auch nicht.«
    »Bitte versprich mir, morgen mittag!«
    »Morgen mittag weiß ich nicht, nein, eher nicht.«
    »Morgen abend?«
    »Na gut, ich will sehen.«
    Desdemona umarmt ihren Mann, küßt ihn, hüpft ins Haus zurück.
    Jago hat inzwischen eine kleine Runde gedreht, Arme auf dem Rücken verschränkt. Nun kommt er wieder.
    »Benötigt Ihr meine Hilfe, mein General?«
    »Darum also ist er heimlich weggeschlichen, der Cassio«, sagt Othello. »Jetzt ist es mir klar. Der wollte bei meiner Frau bitten. Meine Frau soll ein gutes Wort für ihn einlegen.«
    »Das wollte er? Wirklich?« tut Jago, als ob er daran zweifle. »Das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Das kommt mir eigenartig vor. Der Cassio ist ein Offizier … er ist ein Mann. Der würde doch nicht … zu Eurer Frau gehen, der würde doch gleich zu Euch kommen.

Weitere Kostenlose Bücher