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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Ich nehme es zu mir und gebe es später meiner Herrin, bei einer besseren Gelegenheit. Sie sieht, daß die beiden Probleme haben, daß man da nicht mit einem Taschentuch dazwischengehen kann. Gut, denkt Emilia, die Gelegenheit ist gut, kann ich mir das Muster abzeichnen und mir selber so ein Tuch sticken. Wird die Herrin nichts dagegen haben.
    »Her damit!« Das ist Jago. Er reißt ihr das Tuch aus der Hand. »Ich werde es der Besitzerin zurückgeben. Das war ja noch schöner!«
    »Denkst du denn, ich will es für mich behalten?«
    »Was ich denke, geht dich nichts an. Erstens. Zweitens würdest du es nicht verstehen. Weil du nämlich drittens gar nichts verstehst und noch nie etwas verstanden hast.«
    So spricht Jago mit seiner Frau.
    Das Taschentuch ist ein Zufall, den will Jago für seine Sache nutzen. Was geschieht, wenn ich das Tuch dem Michael Cassio unterjuble? Was geschieht, wenn ich mit dem Hammer auf die Haustür einschlage? Vielleicht fällt nicht gleich das ganze Haus zusammen, aber immerhin ist die Tür kaputt.
    Michael Cassio findet das Taschentuch unter seinen Sachen. Er hat keine Ahnung, wie es dorthin gekommen ist. Er kennt das Tuch nicht. Er ist ein junger, charmanter, gutaussehender Mann. Die Mädchen mögen ihn. Und er mag sie. Überall gibt es eine, mit der er etwas hat. Auch auf Zypern. Sie heißt Bianca.
    »Bianca, hast du dieses Tuch bei mir liegengelassen?«
    »Oh, was für ein schönes Stück!« ruft Bianca aus. »Nein, es gehört leider nicht mir. Darf ich das Muster abmalen?«
    Warum auch nicht?
    Dann bittet Jago seinen General um eine Unterredung.
    Jago druckst herum: »Ich glaube …«
    »Was?«
    »Ich bin mir ziemlich sicher …«
    »Was!«
    »Es tut mir leid …«
    »Was! Was! Was!«
    »Ich habe irgendwie herausgekriegt … das ist mir jetzt sehr unangenehm …«
    Und Othello, einer Ohnmacht nahe: »Was, Jago, hast du herausgekriegt?«
    »Ich will jetzt nur noch Euer Freund sein … nur noch Euch verpflichtet will ich sein … jawohl … nicht mehr der Freundschaft zu Michael Cassio. Das ist vorbei. Seit ich weiß …«
    »Was weißt du?«
    Und nun endlich die ganz große Pause, still wie vor einem Gewitter.
    Dann: »Cassio treibt’s mit Eurer Frau.«
    Da fällt Othello in Ohnmacht.
    Und als er wieder zu sich kommt, ist er wie Stein und Feuer.
    »Ich«, sagt er, »brauche«, sagt er, und seine Augen brennen, »einen Beweis!«
    Jago spielt sein riskantestes Spiel. Er ist ein Menschenkenner, ohne Zweifel. Aber er kennt nur die Schwächen der Menschen. Er kennt ihre Angst, ihren Wahn, ihre Laster, ihre Süchte. Er weiß nichts von Schönheit, Zufriedenheit, Glück. Nichts kann ihm Freude bereiten, nicht die Wandlungen in der Natur, nicht die Sehnsucht, die aus der Musik klingt, nicht der Atem des geliebten Menschen am Ohr. Aber er weiß um den intellektuellen und emotionalen Trieb des Menschen, die Teile, die ihm die Welt vorlegt, zu einem Ganzen fügen zu wollen. Und diesen Trieb macht sich Jago für seine letzte Intrige zunutze.
    »Ich will Euch den Beweis liefern«, sagt er zu Othello. »Ich werde mich mit Cassio treffen, werde ihn zur Rede stellen. Ihr, mein General, sollt Euch in der Nähe verstecken, Ihr sollt zuhören und zusehen, dann werdet Ihr Eure Schlüsse daraus ziehen, und ich bin überzeugt, diese Schlüsse werden die richtigen sein.«
    Jago trifft Michael Cassio, und er richtet es so ein, daß auch Bianca, dieses lebensfrohe, verliebte Mädchen, dabei ist. Jago berechnet sehr genau den Abstand zu dem im verborgenen bangenden Othello. Othello muß nahe genug bei der Szene sein, um wenigstens einige Worte verstehen zu können und um die Gesten zu sehen, die jeder Mensch macht, wenn er redet. Jagos Kalkül: Ganz gleich, was Michael Cassio sagt, ganz gleich, welche Teile des Gesprächs Othello versteht, der General wird alles nach dem Diktat seines Wahns interpretieren. Nichts fürchtet Othello mehr als den Beweis, daß ihn seine Desdemona betrügt. Eifersucht aber, das weiß Jago, ist nur zu befriedigen, indem sie bestätigt wird. Man kann nicht beweisen, daß man nicht betrogen wird, aber man kann beweisen, daß man betrogen wird. Also wird Othello das Stückwerk aus Wortfetzen und Gesten zu einem Ganzen fügen, und dieses Ganze wird ihm beweisen: Desdemona betrügt Othello. Dies ist Jagos Kalkül.
    Michael Cassio und Jago plaudern.
    Jago fragt: »Hast du dich mit Othello versöhnt?«
    Michael Cassio antwortet: »Noch nicht, ich muß dem Mann mehr Zeit geben.«
    Othello

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