Shakespeare erzählt
Das kommt mir seltsam vor.«
»Und was denkst du?« fragt Othello.
»Ich? Also, ich denke einfach … nichts. Wieso?«
»Du denkst doch etwas. Irgend etwas geht in dir vor!«
»Nein, nichts.«
Der Sämann sät Mißtrauen. Schweigend gehen die Männer nebeneinander her.
Dann sagt Jago: »Übrigens, das würde mich interessieren: Hat der Cassio eigentlich gewußt, daß ihr euch geliebt habt, bevor ihr geheiratet habt. Hat der das gewußt? Also, daß auch er … eingeweiht war?«
»Ja«, sagt Othello. »Natürlich hat Cassio das gewußt. Er war lange der einzige, der eingeweiht war. Er war unser Bote. Ich habe ihm Briefe für Desdemona gegeben, sie hat ihm Briefe für mich gegeben. Warum fragst du?«
»Ach nichts«, sagt Jago. »Ich habe nur gedacht.«
»Was hast du gedacht?«
»Das heißt, er hat sie oft gesehen, Eure Desdemona.« Jago tut so, als spräche er mehr mit sich selbst als mit Othello. Nuscheln. Leise. Aber doch laut genug, so daß er noch verstanden wird. »Der Cassio ist ja im gleichen Alter wie Desdemona …« Was soll das jetzt? Jago sucht nach einer weichen Stelle. Othello ist beträchtlich älter als Desdemona. Es ist zwar noch nie die Rede davon gewesen, daß das ein Problem sei zwischen den beiden – aber anklopfen kann man ja. Hören, ob’s hohl klingt.
Othello bleibt stehen. Jago sieht die Stirnfalte, mit Genugtuung sieht er sie.
»Jago!«
»Ja, mein General?«
»Jago, gib mir jetzt eine aufrichtige Antwort!«
»Aufrichtig? Zweifelst du an meiner Aufrichtigkeit?«
»Hältst du den Cassio für einen ehrlichen Menschen?«
»Ehrlich? Man sollte so sein, wie man scheint. Dann denke ich schon, daß er ehrlich ist, der Cassio.«
»Du redest eigenartig, Jago. Was soll das heißen?«
»Ihr bringt mich in einen Konflikt«, sagt Jago, gibt seiner Stimme einen kleinen Jammer. »Ich liebe den Cassio, er ist ein Freund von mir. Jeder Mensch hat dunkle Seiten in seinem Herzen. Wenn man mit dem Vergrößerungsglas drauflosgeht und diese dunklen Seiten aus dem Zusammenhang löst, dann kommt immer etwas heraus …«
»Was heißt das?« Othello verliert allmählich die Geduld. »Was soll das heißen: dunkle Seiten aus dem Zusammenhang lösen!«
Und nun schlägt Jago den Nagel ein, an den er sein Gemälde zu hängen beabsichtigt. Er improvisiert. Den Stern erkennen, wenn er aufblitzt. Er sagt das entscheidende Wort.
»Aber Othello, Ihr müßt doch nicht eifersüchtig sein!«
Von nun an gibt es nichts mehr, das nicht mit diesem Wort zusammenhängt.
»Eifersüchtig?« Othello bekommt kaum genügend Luft, um das Wort auszusprechen. »Ich bin doch nicht eifersüchtig. Desdemona liebt mich!«
Jago läßt eine Pause. Nicht zu lang und nicht zu kurz. Im Lehrbuch des Intriganten ist der Kunst der Pause ein eigenes Kapitel gewidmet.
»Selbstverständlich liebt Euch Desdemona«, sagt er schließlich. »Auch sie ist durch und durch ehrlich.« – Pause. – »Ja, schon … glaube ich …«
»Wenn du glaubst, daß sie ehrlich ist, was zauderst du dann so!« fährt ihn Othello an.
»Ich will nicht zaudern«, sagt Jago. »In den wichtigen Dingen wird Desdemona nie lügen.«
»Was redest du denn da!« Othello packt Jago bei den Armen.
Jago läßt das zu, tut aber, als würde er sich winden. »Also, zum Beispiel … nein, das ist ein schlechtes Beispiel …«
»Was willst du sagen? Sag es!«
»Ihrem Vater gegenüber, wollte ich sagen … nein … also, da hat sie zum Beispiel gelogen … als sie Euch heimlich geheiratet hat …«
Was soll Othello darauf antworten? Nichts kann er antworten.
Außerdem kommt Desdemona gerade aus dem Haus. Sie will wissen, wo ihr Mann bleibt. Der hat doch gesagt, die Besichtigung der Wehranlagen werde nicht lange dauern. Und da sieht sie, daß ihm der Schweiß auf der Stirn steht, daß er wankt. Jago macht wieder seine Runde, abseits, Arme auf dem Rücken.
»Mein Liebster, was ist los mit dir? Bist du krank? Hast du Sorgen? Laß dich von mir trösten.« Sie nimmt ihr Taschentuch und wischt über seine Stirn.
Aber Othello stößt sie weg. »Ein Taschentuch ist viel zu klein, um mich zu trösten!«
Das Taschentuch fällt zu Boden.
Hinter Desdemona hat ihre Freundin, Beraterin und Dienerin Emilia das Haus verlassen. Sie hebt das Taschentuch auf. Will es ihrer Herrin geben. Es ist aber kein guter Augenblick dafür. Sie will es später tun. Übrigens ein schönes Tüchlein, denkt Emilia. Ah, das kenne ich ja, das hat mir schon immer gut gefallen. Und sie denkt sich:
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