Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
Vom Netzwerk:
Stimme unterwirft sich ganz dem Diktat seines Herzens, und sein Herz will hinaus, hinaus, will allen sagen, daß es getroffen ist.
    Neben Romeo steht Tybalt, zufällig. Holla, der Geck mit der Maske redet mit sich selbst, denkt er, schwärmt vor sich hin wie ein Kretin. Aber dann erkennt Tybalt diese Stimme, und er weiß, hier redet kein Verrückter. Tybalt ist Julias Cousin. Keine Ahnung hat er, was die Ursache des Krieges ist, der die Stadt auf so ungute Art schon seit Jahren in Unruhe hält. Aber er mag diesen Krieg, er hätschelt ihn mit seiner Einbildungskraft. Die Montagues sind der Pfeffer in seinem Leben. Was würde er mit seinem Leben ohne dieses Gewürz anfangen? Zuschauen müßte er, zuschauen, wie es in die Jahre tappt. Wie das Leben aller anderen. Das mag Tybalt nicht.
    »Ein außerordentlicher Abend«, sagt er und hält Romeo an der Schulter fest, drückt seinen Daumen ins Schlüsselbein. »Ich kenne dich.« Und den anderen ruft er zu: »Da ist ein Montague, der ist gekommen, um sich über uns lustig zu machen!«
    Tybalt will den Degen ziehen, aber da tritt Herr Capulet dazwischen. »Wer bist du?« fragt er den jungen Mann mit der schwarz lackierten Maske.
    »Romeo Montague.« Er zeigt sein Gesicht.
    Und Herr Capulet? Was tut er? Er überrascht seine Gäste, er wendet sich an die Burschen, die sich um Romeo und Benvolio geschart haben. »Hände weg von euren Degen!« sagt er. »Ich habe von diesem jungen Mann nur Gutes gehört.«
    »Er ist ein Montague!« braust Tybalt auf. »Er ist mein Feind!«
    »Dein Feind?«
    »Unser Feind!«
    »Und dies ist mein Haus«, weist ihn Herr Capulet zurecht. »Und wer hier ein Feind ist, bestimme ich. Und dieser junge Mann ist nicht mein Feind. Ich wüßte nicht, was er mir angetan hat.«
    Ganz still ist es im Saal geworden. Bemerkenswerte Dinge sind zu beobachten – die Tollkühnheit eines Montague und die Friedfertigkeit eines Capulet. In der Tat: ein außerordentlicher Abend!
    »Das Fest geht weiter!« ruft Herr Capulet den jungen Leuten zu. Und mit einer freundlichen Geste und einem feinen Lächeln auf den Lippen wendet er sich an Romeo und Benvolio: »Ihr seid meine Gäste, auch ohne Maske. Amüsiert euch!«
    Romeo hat die Szene nur flüchtig wahrgenommen. Was kümmern ihn all die Augen, die ihn anstarren, die offenen Münder, die Fäuste der Burschen? Was soll ihm hier jemand anhaben können? Sein Herz brennt. Was kümmern ihn Leib und Leben!
    »Gehen wir!« drängt Benvolio, als sich die erste Aufregung gelegt hat. »Schauen wir, daß wir wegkommen!«
    Romeo hört nicht, was Benvolio sagt. Er sieht ihn nicht. Er hat keine Zeit und keine Kraft, seine Worte im Kreis zu schicken, wie es sich für einen Kavalier geziemt. Er tritt auf Julia zu, stammelt ein paar Worte, dann küßt er sie. Und da reißt auch sie ihn in ihr Herz. Die Liebe hat Macht, und mächtiger ist nur Gott.
    »Wer bist du?«
    »Romeo. Wer bist du?«
    »Julia.«
    »Wie ist dein zweiter Name?«
    Und dann ist es heraus. Ein Wortwechsel, und der Liebe ist alle Hoffnung genommen. Julia verflucht die Namen. Es sind doch nur Namen! Wie kann ein Name, der nur aus Buchstaben besteht, der nicht ins Herz geschrieben ist, nicht einmal ins Gesicht geschrieben ist, wie kann so ein sperriges Ding das Ziel und den Sinn allen Lebens ausstechen?
    »Wärest du doch ein anderer und könntest dennoch sein, der du bist!«
    Sie wissen, es ist unmöglich. Und sie küssen sich wieder. Und noch einmal.
    Dann verlassen Romeo und Benvolio das Haus der Capulets.
    »So habe ich es nicht gemeint«, sagt Benvolio. »Das ist zuviel Ablenkung.«
    »Wovon Ablenkung?«
    »Warum sind wir hierhergekommen?«
    »Ich bin gekommen, um Julia zu begegnen.«
    »Hast du Rosalinde vergessen?«
    Benvolio braucht keine Antwort. Er will Romeo fortziehen, fort von dem Haus der Capulets, fort von Tybalt. »Der wird keine Ruhe geben! Du hast ihn gedemütigt, weil sein Onkel in aller Öffentlichkeit für dich Partei ergriffen hat.«
    »Wer hat Partei für mich ergriffen?«
    Argumentieren ist sinnlos. Benvolio faßt Romeo am Ärmel. Aber Romeo reißt sich los. Er läuft um das Haus der Capulets herum, steigt über die Mauer, springt in den Garten. Weiß er denn, hinter welchem Fenster sich Julias Zimmer befindet? Er weiß gar nichts, er denkt gar nichts. Er sieht Licht. Und er hört Julias Stimme.
    »Romeo, o Romeo, warum bist du Romeo! Leg deinen Namen ab, und ich lege meinen ab!«
    Romeo tritt ins Licht. »Nenn mich deinen Liebsten! Ich nenne dich

Weitere Kostenlose Bücher