Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt
Autoren: Michael Köhlmeier
Vom Netzwerk:
Feldherr, die Soldaten lieben ihn, Cäsar vertraut ihm. Nicht einmal in seinem Leben hat es Antonius für notwendig erachtet zu flüstern. Was er sagen will, sagt er laut. In militärischen Belangen ist Marcus Antonius des Cäsars erster Berater. In zivilen Angelegenheiten fragt Cäsar lieber den Brutus. So hat er es jedenfalls bisher gehalten. In letzter Zeit geht ihm Brutus allerdings aus dem Weg.
    »Der dort gefällt mir nicht«, sagt Cäsar.
    »Wen meinst du? Den Cassius? Der ist harmlos. Ein fleißiger Senator.«
    »Er ist dünn. Siehst du das nicht? Und er hat einen hohlen Blick. Ich schätze, er liest zuviel. Solche Männer sind gefährlich.«
    »Warum verschwendest du einen Gedanken an ihn?« dröhnt Antonius. »Wenn dieser Cassius auf deiner Schulter säße, er reichte dir nicht bis zum Kinn!«
    Ob Antonius weiß, daß Cassius jedes seiner Worte hören kann? Ob er das sogar beabsichtigt? Wahrscheinlich ist es ihm gleichgültig.
    Cassius ist bitter. Casca ist bitter. Sie planen eine Verschwörung. Die planen sie schon lange. Ihre Pläne sind belanglos. Weil unrealistisch. Weil jeder von ihnen einen Zweiten neben sich braucht. Aber weder kann der eine dem anderen noch der andere dem einen in dieser Hinsicht dienen. Nun, zum ersten Mal, sehen sie eine reelle Chance, ihre Pläne zu verwirklichen.
    »Wenn es uns nicht gelingt, Brutus zu gewinnen, dann wird es uns bald nicht mehr geben.«
    Es geht um Mord. Sie nennen es Tyrannenmord. Aber sie wissen, wenn sie oder einer von den Skeptikern den Dolch führte, niemand würde von Tyrannenmord sprechen. Alle würden sagen: Es war Mord. Einfach nur Mord. Mord aus Eifersucht. Mord aus Haß. Mord aus Machtgier. Wenn aber ein Brutus zusticht, dann wird jeder sagen: Er konnte nicht anders. Er mußte. Er war es seinem Gewissen schuldig. Es wird dann nicht Mord heißen, sondern anders. Brutus, wird man sagen, hat Cäsar nicht ermordet, er hat Rom von Cäsar befreit. Oder so ähnlich.
    »Brutus hat gern, wenn ein anderer ausspricht, was er denkt«, sagt Cassius. »Schickt jemanden zu seinem Haus! Das Volk soll ihm Briefe schreiben. Die werft ihm ins Zimmer! Das Volk soll sagen, daß es so denkt wie er. Und daß es so einen will, wie Brutus einer ist.«
    Die Verschwörer haben sich für die Nacht verabredet. Casca, auf dem Weg zur geheimen Versammlung, trifft den alten hochverehrten Senator Cicero.
    »Merkwürdige Nacht, findet Ihr nicht, Senator?«
    »Ein wenig schwül, aber sonst?«
    »Schwül im März?«
    »Das ist nicht außergewöhnlich. Und merkwürdig schon gar nicht.«
    »Ein Gewitter ballt sich zusammen, heißt es.«
    »Das kommt im März vor, ja.«
    »Aber eines, wie es noch nie eines gab.«
    »Es gibt kein Wetter, das es noch nie gab.«
    »Unheimliches geschehe, heißt es. Löwen seien gesehen worden, mitten auf der Straße. Brennende Männer seien gesehen worden. Die liefen über die Plätze. Die Natur ist in Aufruhr.«
    »Und verfolgt die Natur damit eine Absicht?« fragt Cicero. »Was glaubst du?« Seine Reden im Senat sind gefürchtet. Mit einer einzigen ironischen Bemerkung kann er aufwendige rhetorische Bauwerke zum Einsturz bringen.
    »Große Veränderungen künden sich an«, stammelt Casca.
    »Was verändert sich?«
    »Rom.«
    »Zwei Dinge habe ich in meinem Leben gelernt«, kichert der alte Cicero. »Erstens: Ganz gleich, was die Natur für ein Schauspiel aufführt, sie tut es nicht für uns. Zweitens: Ganz gleich, was die Natur für ein Schauspiel aufführt, es gibt immer jemanden, der versucht, es für seine Zwecke zu nutzen.«
    Casca gibt auf: Cicero kann man nicht für die Sache der Verschwörer gewinnen, den nicht.
     
    Brutus schläft nicht in dieser Nacht. Der edle Denker denkt.
    »Cäsar hat mich immer anständig behandelt. Er hat mich sogar bevorzugt. Ich kann ihm nichts vorwerfen.« – Dies ist der erste Gedanke.
    Und der zweite: »Cäsar soll ein Gleicher unter Gleichen sein. So will es die Verfassung. Ihm ist die Macht vom Volk gegeben. Macht ist grundsätzlich nichts Schlechtes.«
    Und so lautet der dritte Gedanke: »Hat Cäsar seine Macht bisher mißbraucht? Nein!«
    Und nun folgt der vierte, der entscheidende Gedanke des Brutus: »Könnte es sein, daß Cäsar seine Macht einmal mißbrauchen wird? Ja!«
    Halten wir fest: Der vierte Gedanke markiert den Übergang von Brutus, dem Denker, zu Brutus, dem Ideologen.
    Ideologienwerk baut auf den Konjunktiv: Es könnte sein, daß …
    »Ja«, glaubt Brutus zu erkennen, »es könnte sein! Es könnte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher