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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt
Autoren: Michael Köhlmeier
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töten«, fährt Brutus in seinen Ausführungen fort, »wir würden Cäsars Leben auf alle Fälle schonen! Hab ich recht?«
    »Und wie!«
    »Leider aber ist der Geist im Kopf und der Kopf mit dem Körper verbunden, und so müssen wir eben doch Blut vergießen. Obwohl wir das eigentlich gar nicht wollen. Hab ich recht?«
    »Aber sicher«, sagt Cassius.
    »Aber sicher«, sagt Casca.
    Und die anderen sehen es ganz genauso. »Wir sehen es ganz genauso wie du, Brutus«, sagen sie.
    Der Plan ist längst ausgearbeitet. Kompliziert ist er nicht. Entscheidend ist, daß Cäsar den Senat betritt. Um sicherzugehen, soll einer ihn abholen. Eines wird allerdings fest ausgemacht, und zwar im Indikativ, nicht im Konjunktiv: Jeder Beteiligte muß, wenn es soweit ist, einen Stich führen. Es darf sich hinterher keiner herausreden können.
     
    Cäsar hat wenig geschlafen. Er schläft schlecht in letzter Zeit, wacht auf, wenn es noch dunkel ist. Dann geht er durch sein Haus oder wartet im Garten, bis die Sonne aufgeht. Heute hat auch seine Frau schlecht geschlafen.
    »Ich habe etwas Merkwürdiges geträumt«, sagt sie.
    »Erzähl es mir!«
    »Ich erinnere mich nicht. Nur die Empfindung des Traumes ist noch in mir. Es war Angst.«
    »Wovor hattest du Angst in deinem Traum?« fragt Cäsar.
    »Geh heute nicht in den Senat!« bittet ihn seine Frau. »Es wird etwas geschehen!«
    »Ein Feigling stirbt schon viele Male, bevor er wirklich stirbt.«
    »Du hast einen großen Sieg gegen Pompeius errungen«, sagt sie. »Jeder wird verstehen, wenn du heute zu Hause bleibst. Tu es mir zuliebe!«
    Cäsar liebt seine Frau. »Gut«, sagt er, »es soll geschehen, was du dir wünschst.«
    Senator Decius wird gemeldet. Er komme, um Cäsar abzuholen. Das ist ungewöhnlich. Der Senat wolle damit seine Wertschätzung zum Ausdruck bringen, sagt Decius.
    Cäsar ist gutgelaunt. »Was sind wir doch für Männer!« sagt er. »Denken wir auch nur einen Augenblick an die Nöte und Wünsche unserer Frauen? Nein. Auf der anderen Seite betonen wir immer wieder, unsere Sorge gelte dem Volk. Unsere Frauen aber sind das Volk. Mein lieber Decius, melde dem Senat, Cäsar wird heute nicht erscheinen.«
    »Du bleibst zu Hause?«
    »So ist es.«
    »Und was für einen Grund soll ich dem Senat nennen?«
    »Meine Frau wünscht es.«
    »Ich verstehe«, sagt Decius. »Und wie soll ich das vor dem Senat … umschreiben?«
    »Warum umschreiben? Bin ich ein Schüler, der eine Lüge erfindet, weil er die Schule schwänzen will? Ich bin Cäsar! Sag dem Senat die Wahrheit! Meine Frau hat schlecht geträumt, und deshalb bleibe ich zu Hause.«
    »Das soll ich sagen? Der große Cäsar läßt sich von seiner schlecht träumenden Frau befehlen, nicht in den Senat zu kommen. Das soll ich sagen?«
    Nein, so kann man es nicht sagen. Die Verschwörer haben Decius ausgesucht, den Cäsar abzuholen, weil Decius eine krumme Zunge hat. Der gibt dir in allem recht, und a m Ende tust du genau das Gegenteil von dem, was du tun wolltest. Und Cäsar geht es nicht anders. Er zieht das Versprechen zurück, das er seiner Frau gegeben hat.
    Vor dem Senat warten die Bittsteller. Das ist üblich. Cäsar weist sie nicht ab. Hat er nie getan. Diese Volkstermine waren seine Idee. Er tritt den Menschen gegenüber, schaut ihnen in die Augen, hört ihnen zu. Aber er redet ihnen nicht nach dem Mund. Cäsar hat Berater, und die haben Studien erstellt, und daraus geht hervor, daß der Mensch das Vertrauen verliert, wenn ihm nie widersprochen wird, und daß er den wenig achtet, der ihm immer recht gibt. Oft kommt es vor, daß Cäsar die Namen der Bittsteller kennt. Er sagt: »Wie geht es dir, Quintus Marullus? Ich habe gehört, das Wasser ist in deine Töpferei eingebrochen.« Da hat dann Quintus Marullus eine Viertelstunde lang den Mund nicht mehr zugekriegt, und er vergaß, was er dem Cäsar eigentlich sagen wollte, und er würde sich von nun an in Stücke hauen lassen für ihn, prahlt er jedenfalls. »Cäsar kennt uns und sorgt sich um uns«, erzählt er von nun an überall herum. Und die Leute sagen: »Da hat er so viel zu tun, dieser große Mann, führt erfolgreiche Kriege, und dann kennt er uns kleine Leute und macht sich Sorgen um uns!« – Was ist der Trick?
    Cäsar hat eine Schar von Männern angestellt, die nichts anderes zu tun haben, als sich in der Stadt umzusehen und umzuhören. Und wenn dann Cäsar die Stufen zum Senat hinaufschreitet, durch das Spalier der Bittsteller hindurch, dann sind diese Männer in
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