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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt
Autoren: Michael Köhlmeier
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sagt er, »dann besteht wahrlich Grund zur Sorge.«
    »Du runzelst auch die Stirn, Cassius.«
    »Ich mache mir immer Sorgen, das weißt du, und die meisten Sorgen sind ohne Grund, und ich bin froh, daß es so ist. Ich habe ein sorgenvolles Gemüt. Aber du nicht. Brutus ist ein beneidenswerter Optimist, das weiß jeder. Darum, wenn sich ein Brutus Sorgen macht, greife ich mir ans Herz.«
    »Cäsar ist ein großer Mann«, seufzt Brutus. Als wäre dies eine Antwort. Als hätte irgend jemand daran gezweifelt. Als sorge sich Cassius, ob Cäsar wirklich ein großer Mann sei.
    »Das ist er, ja, das ist er in der Tat«, seufzt nun auch Cassius. Dieses Spiel kennt er, und er versteht es besser zu spielen als jeder andere. Dann räuspert er sich und sagt mit fester Stimme: »Wahrlich, Cäsar ist ein großer Mann!« Weiß er doch: Je lauter er Cäsars Größe preist, desto schärfer wird das »Aber« ausfallen.
    »Aber!« – Da ist es ja schon! Brutus ist wirklich nicht schwer zu durchschauen, für einen Cassius ganz bestimmt nicht. – »Aber! So viel Macht in der Hand eines Mannes ist nicht gut«, beschwört Brutus den Cassius oder tut so, als ob er ihn beschwöre. »Glaub mir, Cassius, es ist nicht gut! Jedenfalls nicht nach Ansicht eines Republikaners.«
    »So ist es, Brutus.«
    »Und ich bin ein Republikaner.«
    »So ist es!«
    »Wer thront für den Republikaner über allem?«
    »Das Volk, Brutus, das Volk.«
    »Richtig, Cassius! Darum stehe ich hier abseits und sehe mir nicht die Weihespiele zu Ehren Cäsars an. Mein republikanisches Herz empört sich, wenn einem einzelnen Mann zugejubelt wird, als wäre er ein Gott. Cäsar könnte übermütig werden.«
    »Du fürchtest«, führt Cassius willfährig den Gedanken des Brutus fort, »du fürchtest, Cäsar könnte sich zum Diktator aufschwingen?«
    Brutus lebt in der Sonne, er wurde auf einem Flecken geboren, auf den die Sonne immer scheint. Nie hatte er Angst, aus der Sonne gedrängt zu werden. Das Glück ist ihm selbstverständlich. Daß er geehrt wird, ist ihm selbstverständlich. Auch daß er geliebt wird, ist ihm selbstverständlich. Brutus tritt sicher auf und hat nicht den geringsten Zweifel, daß dereinst sein Name einen eigenen Platz erhält, den er mit niemandem teilen muß. Und doch ist er einer, der gern um eine Sache herumredet, der halbe Sätze bildet und Gedankenstriche in die Luft zieht. Will er sich absichern? Will er sich möglichst viele Optionen offenhalten? Ist Brutus also ein Opportunist? Das gewiß nicht! Brutus hat klare Meinungen, und er ist unbestechlich. Aber er mag es, wenn andere seine Meinungen aussprechen, bevor er sie ausspricht. Dann ist nämlich eine solche Meinung nicht mehr nur seine Meinung, sondern so etwas wie eine offizielle Tatsache.
    »Du hast recht, Cassius. Genau das ist die Gefahr: Daß sich Cäsar zum Diktator macht.«
    Cassius spielt für Brutus gern den Umformer von Meinung in Tatsache. Cassius hat etwas vor, was er allein nicht zustande bringt. Den Brutus kann er dafür brauchen. Das Volk verehrt und liebt Brutus, Integrität ist ein Synonym für seinen Namen.
    »Cäsar ist ein großer Mann«, nimmt Cassius das Wort des Brutus auf. »Aber! Aber es gibt größere als ihn. Ich kenne Cäsar schon lange und besser vielleicht als die meisten, darum darf ich so etwas behaupten. Ich sah ihn in Spanien krank und elend, zitternd im Fieber und um sich schlagend wie ein Kind. Da war er bereits General. Ich habe in der Jugend mit ihm gemeinsam im Winter den Tiber durchschwommen, und hätte ich ihn nicht aus dem Wasser gezogen, er wäre jämmerlich ertrunken. Da sah er nicht aus wie ein Gott. Es gibt Bessere als Cäsar, glaub mir, Brutus.«
    Das wischt Brutus beiseite, zu großmännisch vielleicht. »Das ist kein republikanisches Argument«, doziert er, Brutus doziert gern. »Der Staat muß gut geführt werden auch in einer Zeit, in der große Männer selten sind. Das ist die Idee der Republik, mein Cassius! Eventuell fehlende Fähigkeiten Cäsars machen mir weniger Sorgen als seine Begehrlichkeiten.«
    »Ich sehe es nicht ganz so«, sagt Cassius. »Wenn ich mir vorstelle, daß Brutus an der Spitze des Staates stünde …«
    »Du meinst«, lacht Brutus, und es klingt ein wenig spitz, »du meinst: zum Beispiel einer wie Brutus.«
    »Nein«, sagt Cassius mit fester Stimme. »Ich meine dich. Aus der Erfahrung meines langen politischen Lebens wünsche ich mir einen Mann wie dich an der Spitze Roms.«
    »Es geht darum, daß die Republik
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