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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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seiner Nähe und stecken ihm ihre Informationen. Zum Beispiel: »Da vorne, der Kleine mit der Glatze, das ist Quintus Marullus, vor drei Tagen ist das Wasser in seine Töpferei eingebrochen.«
    Heute hält es Cäsar nicht anders. Die Verschwörer beißen sich auf die Lippen, ungeduldig sind sie, sie können es gar nicht erwarten, Rom zu reinigen. Und dann kommt noch einer und will etwas und noch einer und noch einer. Hört das denn nie auf?
    Und am Ende der Schlange steht der Philosoph Artemidor. Man riecht ihn von weitem.
    »Du weißt, ich schätze und ehre die Philosophie«, sagt Cäsar. »Sag mir, was du nötig hast, Artemidor!«
    »Ich habe nichts nötig«, antwortet der Philosoph. »Meine Philosophie besteht ja gerade darin, den Menschen beizubringen, wie sie sich mit wenig zurechtfinden. Ich habe einen Brief für dich, Cäsar, den will ich dir geben. Lies ihn!«
    »Sag mir in einem Satz, was in dem Brief steht, und ich werde dir sagen, wann ich ihn lesen werde.«
    »Es betrifft dich, dein Leben, Cäsar.«
    »Dann werde ich ihn am Ende des Tages lesen. Cäsar kommt zuletzt.«
    Cäsar ist groß. Das denkt jeder. Auch jene, die ihn töten wollen, denken das. Auch Cäsar selbst denkt, daß Cäsar groß ist. Aber weil Cäsar Cäsar nicht sehen kann, weil er nicht um ihn herumgehen kann, ihn einmal von dieser Seite, dann von jener Seite anschauen kann; weil Cäsar Cäsar nicht ausweichen kann und ihn überall findet, wo Cäsar ist, meint Cäsar, wenn er sagt, Cäsar ist groß, daß er unendlich groß sei und unsterblich und immerdar. Nur deshalb kann er sich die selbstverleugnende Bescheidenheit leisten.
    Artemidor hatte in dem Brief die Verschwörung aufgedeckt. Cäsar wird den Brief nicht mehr lesen. Denn das Ende des Tages wird er nicht erleben. Cäsar wird erfahren, daß der Raum, den er in der Welt einnimmt, nicht weiter greift als der Raum jedes anderen Menschen.
    Als Cäsar endlich den Senat betritt, kommt Metellus Cimber, einer der Verschwörer, auf ihn zugelaufen. »Ich habe auch eine Bitte«, sagt er. »Du hast meinen Bruder in die Verbannung geschickt.«
    »Ja, das habe ich«, antwortet Cäsar.
    »Gib ihn frei!« Metellus Cimber kniet vor Cäsar nieder.
    »Nein«, sagt Cäsar, »das werde ich nicht tun. Und ich werde dir erklären, warum. Wenn ich deinen Bruder freilasse, nur weil du vor mir kniest und mir schmeichelst, Metellus, dann würde ich eingestehen, daß ich deinen Bruder ohne triftigen Grund in die Verbannung geschickt habe. Denn wenn jemand in die Verbannung geschickt wird, und es gelingt, ihn mit Schmeichelei zurückzuholen, dann ist er ungerecht in die Verbannung geschickt worden. Dein Bruder hat Dinge getan, die eine Schmeichelei nicht gutmachen können. Steh also auf! Deine Bitte ist abgelehnt!«
    »Dann sollst du sterben!«
    Metellus Cimber zieht seinen Dolch und sticht auf Cäsar ein. Das ist das Zeichen. Nun stechen sie alle. Zuletzt Brutus.
    Später wird man sagen, Cäsar sei in Wahrheit nicht an den vielen Messerstichen, sondern an gebrochenem Herzen gestorben, weil er Brutus geliebt habe wie einen Sohn.
     
    Da liegt er. Tot. Der große Cäsar liegt in seinem Blut. Die Verschwörer sperren den Raum ab.
    »Was wird geschehen, wenn das Volk erfährt, was geschehen ist?«
    Brutus verkündet: »Ich werde hinausgehen und dem Volk die Sache erklären.«
    Läuft ja alles nach Plan! Genau, wie Cassius es sich vorgestellt hat: Das Gewissen des Volkes spricht zum Volk. Den Cassius und den Casca und die anderen braucht das Volk gar nicht zu sehen.
    Da ertönt Stimmengewirr. Marcus Antonius betritt den Senat. Er weiß noch nicht, was geschehen ist, er will nur nicht, daß die Tore des Senats hinter Cäsar abgeschlossen werden. Dann sieht er Cäsar liegen, im Blut.
    Niemand hat stärkere Nerven als Marcus Antonius. »Ich nehme an«, sagt er, »ihr hattet Gründe.«
    »Die haben wir«, entgegnet ihm Brutus.
    »Und ihr werdet mir eure Gründe erläutern.«
    »Dir? Warum ausgerechnet dir?« versucht sich Cimber im Ton des Spötters.
    Antonius ignoriert ihn. Er spricht nur mit Brutus. »Oder wollt ihr auch mich töten?«
    Nun bricht es aus Cassius heraus: »Ja! Ich war dafür! Und ich bin immer noch dafür! Du bist nicht der große Mann, für den du dich hältst, Antonius! Jetzt bist du allein hier. Hast keine Soldaten um dich herum, die dich schützen.«
    »Dann töte mich doch!« sagt Antonius ruhig, Blick immer noch auf Brutus. »Es wäre eine Ehre für mich, in derselben Stunde zu sterben wie

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