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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt
Autoren: Michael Köhlmeier
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sein, daß Cäsar, hätte ihm Antonius zum vierten Mal die Krone gereicht, er diese dann nicht abgewiesen hätte. Diese Möglichkeit ist immerhin gegeben. Und angenommen, Cäsar hätte die Krone beim vierten Mal auf sein Haupt gesetzt, könnte es dann sein, daß er die Republik abgeschafft hätte? Ja, das könnte sein!«
    Der Konjunktiv ist eine verflixt vornehme Form. Er ist die Form des edlen Zweiflers. Der Zweifler hat Skrupel. Überheblichkeit ist ihm fremd. Der Zweifler stellt sich selbst in Frage. Er läßt die anderen ebenso gelten wie sich selbst. Der Zweifler ist ein Menschenfreund. Der Konjunktiv ist die Redeform des Menschenfreundes. – Und was macht der Ideologe? Er borgt sich das Mäntelchen des Menschenfreundes, schlüpft hinein und tut, als wöge die Möglichkeit schwerer als die Wirklichkeit. Als wäre ein Verbrechen, das einer begehen könnte, ein schlimmeres als das, was einer bereits begangen hat. Und der Ideologe kann das sogar begründen. Was getan worden ist, argumentiert er, das ist geschehen, es ist vorbei, es tut niemandem weh. Was getan werden könnte, das hingegen liegt in der Zukunft, das kann vermieden werden. Und weil der Ideologe vorgibt, sich um die Zukunft zu sorgen, liebt er den Konjunktiv.
    Brutus könnte einfach sagen: Cäsar muß weg! Ich bin besser! Ich will der Gleiche unter den Gleichen sein! Ich will die Macht! Also stechen wir ihn ab! Ein solcher Gedanke wäre für einen Feingeist wie Brutus allerdings unerträglich. Wer läßt seine Gedanken schon nackt laufen! Also her mit dem Mäntelchen! In den ideologischen Konjunktiv gekleidet, lautet der brutale Grundgedanke anders, nämlich so: »Ich liebe Cäsar. Aber ich hasse, was aus ihm werden könnte.«
    Endlich, am Ende der Nacht, hat er sich durchgerungen, der Denker. Soll niemand sagen, er hat es sich leichtgemacht! Außerdem sind da ein paar anonyme Briefe durchs Fenster geflogen. Brutus ist ja nicht dumm. Er weiß genau, wer die Absender sind – Casca und Cassius. Aber es könnte freilich auch sein, daß sie es nicht sind. Es könnte sein! Es könnte sich ja tatsächlich um Volkes Stimme handeln. Und in diesen anonymen Briefen steht, Brutus sei zu Höherem bestimmt … – Also, wer sagt’s denn!
     
    Cassius, der die Menschen kennt, vor allem die in Versuchung geführten, weiß, von einem Mann, der sich zu selbstlosem Tyrannenmord durchgerungen hat, darf man Initiative nicht erwarten, jedenfalls nicht gleich. Der will gebeten werden. Der will geschoben werden. Der will sagen dürfen: Seht her, ich habe Skrupel, ich persönlich würde ja nicht, aber das Gemeinwohl befiehlt und so weiter …
    »Spielen wir Gemeinwohl«, sagt Cassius in den frühen Morgenstunden zu seinen Kumpanen. »Auf, besuchen wir unseren Brutus!«
    Brutus empfängt sie edlen Blicks. »Ja«, sagt er, »ihr habt mich überzeugt, ich bin mit euch.«
    Überzeugt? Wer hat Brutus überzeugt und wovon? Das Wort Mord wurde nicht ein einziges Mal ausgesprochen. Cassius muß ein Grinsen unterdrücken. Also hat auch einer, der nur die Sonne kennt, seinen Ehrgeiz. Hat also Brutus genauso auf Cassius gewartet wie Cassius auf Brutus. Braucht er also auch einen neben sich.
    »Na gut«, sagt Cassius, »dann laß uns einen Eid schwören!« – Mitgegangen, mitgehangen soll das heißen. Falls die Sache auffliegt. Oder falls der Denker die Sache noch einmal überdenken möchte.
    »Nein, kein Eid!« wehrt Brutus ab. »Um Himmels willen! Ich bin doch kein Verschwörer. Was ich tue, ist eine Art von … Reinigung.«
    »Reinigung?« fragt Cassius.
    »Es ist Mord«, sagt Casca.
    »Sprich dieses Wort nicht aus!« befiehlt Brutus.
    »Also gut, meinetwegen Reinigung.« Cassius wird allmählich ungeduldig. »Hauptsache, du bist dabei. Den Marcus Antonius sollten wir übrigens auch gleich … bereinigen.«
    »Nein!« wehrt Brutus abermals ab. »Das Haupt werden wir entfernen, nur das Haupt. Wenn das Haupt fällt, dann werden auch die Glieder fallen. Und nicht einmal das Haupt im Sinne von Kopf meinen wir. Wir meinen den Geist. Im Geist Cäsars gärt die Möglichkeit, daß er die Republik abschaffen könne. Nur seinen Geist meinen wir. Wir wollen doch in Wahrheit kein Blut vergießen, hab ich recht?«
    Haben da die Augenbrauen des Herrn Brutus ein wenig geflattert? Cassius meint, es genau gesehen zu haben. »Natürlich, Brutus«, sagt er, »nur der Geist, natürlich nur der Geist!«
    »Im Geist ist ja auch gar kein Blut, soviel ich weiß«, sagt Casca.
    »Könnte man nur den Geist
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