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Shakespeares ruhelose Welt

Shakespeares ruhelose Welt

Titel: Shakespeares ruhelose Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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würden, Ende der 1590er Jahre zusammensetzten, um das gemeinsame Unternehmen zu benennen, müssen sie nach einem Namen gesucht haben, der die Phantasie der Menschen beflügeln und alle anderen Theater in den Schatten stellen sollte, als da waren: The Curtain, The Rose , und auch das Haus, das sich, verblüffend unoriginell,schlicht The Theatre nannte. Shakespeares Theatergesellschaft dagegen wählte einen hochaktuellen Namen, einen, der wie jenes Buch der Karten, das Theatrum Orbis Terrarum , die menschliche Existenz insgesamt umfasst: Sie wählte Globe zu ihrem Namen – den neuen Weg, die Welt vorzustellen und zu zeigen.

    Das Globe Theatre, auf der South Bank London, wurde 1997 eröffnet: Die Rekonstruktion hat viel beigetragen zum Verständnis des Theaters der Shakespearezeit.
    Nun stellen Sie sich vor, Sie seien ein junger Londoner in der Mitte der 1590er Jahre. Sie haben ihre Geschäfte in Whitehall Palace erledigt, haben dort auch die große Wandkarte von Drakes Reise betrachtet und entschließen sich nun, ins Globe zu gehen, das Shakespearestück zu sehen, von dem Sie so viel gehört haben: Ein Sommernachtstraum . Und wenn es zu den Szenen mit Puck und Oberon kommt: Was alles werden Sie in diesen Worten mitschwingen hören? Viel mehr jedenfalls als Ihre mit solchen Themen übersättigten, globalisierten Nachkommen 400 Jahre später.
«PUCK: Rund um die Erde zieh’ ich einen Gürtel
In viermal zehn Minuten.»
«OBERON: Schneller als die Monde kreisen,
Können wir die Erd’ umreisen.»
    * Auf der Medaille ist die Rückkehr der Golden Hind nach Plymouth irrtümlich vermerkt als der 4. der Kalenden des Oktober, also am 28. September 1580.



Kapitel Zwei
    Kommunion und Gewissen
    Der Stratford-Kelch
    I n jeder Gesellschaft ist gemeinsames Trinken ein Zeichen von Freundschaft und stiftet Gemeinschaft – ein universales Ritual, das man fröhlich vollziehen kann oder auch zeremoniell. Doch birgt es durchaus auch Gefahren. Stets ist bedeutungsvoll, was man trinkt und mit wem man dies tut. Bekam man zur Shakespearezeit von einem König oder Bischof ein Glas gereicht und wurde aufgefordert zu trinken, musste man sich gut überlegen, wie man dies erwiderte, denn das konnte über Leben und Tod entscheiden – buchstäblich, nicht nur auf der Bühne, auch im alltäglichen Leben. Hier ein Ausschnitt aus der Schlussszene von Hamlet:
«KÖNIG: Halt! Wein her! – Hamlet, diese Perl’ ist dein,
Hier auf dein Wohl! Gebt ihm den Kelch!
HAMLET: Ich fecht’ erst diesen Gang, setzt ihn beiseit’! Kommt.
[Sie fechten]
Wiedrum getroffen; was sagt Ihr?
LAERTES: Berührt, berührt. Ich geb’ es zu.
KÖNIG: Unser Sohn gewinnt.
KÖNIGIN: Er ist fett und kurz von Atem.
Hier Hamlet, nimm mein Tuch, reib dir die Stirn!
Die Königin trinkt auf dein Glück, Hamlet!
HAMLET: Gnädige Mutter –
König: Gertrud, trink nicht!
KÖNIGIN: Ich will es, mein Gemahl; ich bitt’, erlaubt es mir!
[Sie trinkt]
KÖNIG: [beiseit] Es ist der gift’ge Kelch; es ist zu spät.»
    Als Shakespeares Publikum Hamlet zum ersten Mal sah, im Globe im Jahr 1600, wusste jeder im Rund genau, was es bedeuten konnte, wenn ein Mächtiger verlangte, den gereichten Becher zu leeren. Alle wussten, was auf dem Spiel stand. Dieser kleine Silberkelch mit passendem Deckel, der in Holy Trinity, Shakespeares Gemeindekirche in Stratford-upon-Avon, aufbewahrt wird, hat, soweit wir wissen, nie dazu gedient, jemanden zu vergiften. Gleichwohl, auch was dieser Kelch enthielt, was sein Inhalt bedeutete, war eine Frage auf Leben und Tod – und das in dieser Kirche ebenso wie in allen anderen Gotteshäusern im Europa des sechzehnten Jahrhunderts.
    Der Kelch ist aus reinem Silber, sein einziger Schmuck ein um den Rand graviertes Band mit Blättern und Blüten. Der Kelch, auf seinem kleinen Fuß etwa 13 Zentimeter hoch, sieht aus wie eine auf den Kopf gestellte Glocke. Es ist ein Kommunionskelch, aber einer für das protestantische Abendmahl, sehr viel schlichter gehalten als die üblicherweise reich verzierten katholischen Kelche – eine neue ArtGefäß für eine neue Form des Gottesdienstes. Er kam nach Stratford, als Shakespeare noch ein Junge war, und zwar im Rahmen einer landesweiten Kampagne, die in jeder englischen Stadt klar machen sollte, dass es mit dem Katholizismus ein für alle Mal vorbei war; die Reformation war zurück, und das nicht nur, weil Elisabeth die Herrschaft angetreten hatte. Nun sollte es dabei bleiben.

    Hamlet, 5. Akt, 2. Szene, Royal Shakespeare

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