Shakespeares ruhelose Welt
die Münze höchstwahrscheinlich aus genau diesem geraubten Silber geprägt. Mit ihm kaufte Drake auch die Gewürze in Ostindien (die Gewürzinseln sind erstaunlich detailliert bezeichnet) – er kam also mit einer Ladung nach Plymouth zurück, die ein Vermögen wert war. Die Expedition hatte gehörig Gewinn abgeworfen; Drakes Geldgeber erhielten ihren Einsatz mehrfach zurück, und die Königin konnte mit ihrem Anteil ihre jährlichen Einkünfte nahezu verdoppeln. Solche Entdeckungsreisen waren somit nicht nur Abenteuer, sondern auch ein Riesengeschäft. Und andiesem Vergnügen ließen die Karten und Globen alle teilhaben, nicht nur die Investoren. Karten waren schon länger im Umlauf, Globen dagegen waren seltener, aber äußerst gefragt. Seit den 1590er Jahren wurden sie denn auch in London hergestellt – zwei wunderschöne Exemplare, gefertigt von Emery Molyneux, kann man bis heute in Middle Temple besichtigen.
Erdglobus, aus einem Set der Middle Temple Library, London. Die allerersten Globen in England hat Emery Molyneux 1592 geschaffen; auf sie wohl bezieht sich Shakespeare in Die Komödie der Irrungen, die um das gleiche Jahr entstand.
In Die Komödie der Irrungen , geschrieben um 1592, vergleicht Dromio, der schlagfertige Diener, auf recht derbe Art ein dickes Küchenmädchen mit einem Globus; mit seinem vulgärgeographischen Exkurs sucht er ihren ganzen Leib nach Schätzen ab.
«DROMIO: Sie ist kugelförmig wie ein Globus; ich wollte Länder auf ihr entdecken.
ANTIPHOLUS: [Auf welchem Teil ihres Körpers liegt Irland?
DROMIO: Marry, auf ihren Pobacken. Ich erkannt es an den Sümpfen.]
ANTIPHOLUS: Wo Schottland?
DROMIO: Das fand ich aus an seiner Unfruchtbarkeit; recht auf der Fläche der Hand.»
So macht er das arme Küchenmädchen zur Zielscheibe seiner Zoten, eine sexistischer und fremdenfeindlicher als die andere:
«ANTIPHOLUS: Wo Amerika, die beiden Indien?
DROMIO: O Herr, auf ihrer Nase, die über und über mit Rubinen, Saphiren und Karfunkeln staffiert ist und ihren reichen Glanz nach dem heißen Atem Spaniens wendet, welches ganze Armadas von [Karacken] mit Ballast für ihre Nase bringt.
ANTIPHOLUS: Wo liegen Belgien und die Niederlande?
DROMIO: Oh, Herr, so tief habe ich nicht nachgesucht.»
Zuletzt ist das Küchenmädchen komplett umrundet, wie der Globus auch. Das Mädchen, das spanische Silber, die ganze Welt – sie sind da, um genommen zu werden. Drakes Silbermünze rangiert als Spitzenprodukt auf einem gewaltigen Markt von Karten, dazu gemacht, dass Engländer aller Klassen sehen konnten, wie weit hinaus ihre Schiffe sich gewagt hatten.
Jonathan Bate, Shakespeare-Forscher und Biograph, hat diese Entwicklung beschrieben:
«Erst um die Zeit, in der Shakespeares Stücke entstanden, gegen Ende der Regentschaft Königin Elisabeths, haben sich die Menschen eine wirklich visuelle Vorstellung von der Welt als Ganzer machen können, insbesondere von ihrer Kugelgestalt. Es gibt in Was ihr wollt die wunderbare Szene, in der Malvolio zum Lachen gebracht wird, und dies Lachen führt zu Linien, die sein Gesicht markieren, was Maria mit den Worten kommentiert: ‹Er lächelt mehr Linien in sein Gesicht hinein, als auf der neuen, [um beide Indien erweiterten] Weltkarte stehn.› Sie spricht von einer sehr berühmten Karte, 1599 wurde sie für Hakluyts Principall Navigations angefertigt, für ein Buch, das von den Reisen berichtet, die englische Seeleute rund um den Globus geführt hatten. Auf dieser Karte waren die Längen- und Breitengrade durch Linien bezeichnet, sie hat also durchaus etwas von einem zerfurchten Gesicht. Damals war diese um beide Indien erweiterte Karte [die Karte also, in welche die neuesten geographischen Erkenntnisse eingetragen waren] in der Tat etwas völlig Neues.»
Richard Hakluyts berühmtes und viel gelesenes Buch The Principall Navigations, Voiages and Discoveries of the English Nation war 1589 erschienen, zehn Jahre später folgte eine gewichtige Neuausgabe, auf den letzten Stand gebracht und auf drei Bände erweitert. Das Werk hielt den Triumph der englischen Seefahrt fest und drängte zugleich zu weiteren Entdeckungsreisen und rascherer Kolonisierung. In den 1590er Jahren machte sich Sir Walter Raleigh auf, Guyana und Venezuela zu erkunden; 1596, ein Jahr nach seiner Rückkehr, hielten die Zeitgenossen sein Buch The Discovery of Guiana in Händen, und es setzte sich, mit seinen erregenden Berichten von Abenteuern und unerhörten Reichtümern, in den Imaginationen der
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