Shakespeares ruhelose Welt
mützentragenden Menge ausging: Aufsässigkeit, die der herrschenden Klasse Englands schwer zu schaffen machte. Denn unter bestimmten Umständen konnten sich diese Lehrlinge in einen gewalttätigen Mob verwandeln.
Die Mütze war ein Mittel, die soziale Hierarchie aufrecht zu erhalten. Doch wie es mit solchen Mitteln geht, ihr Zweck ließ sich auf unkalkulierbare Weise umlenken. Die Mütze konnte unterwürfig gezogen werden, um eine Gunst zu erbitten; man konnte sie förmlich ziehen, um Höhergestellten Respekt zu erweisen; sie konnte auch vor Freude in die Luft geworfen werden, als Zeichen überschäumender Zustimmung. Ein andermal aber war sie, was Menenius der unsteten Menge vorhält, ein Zeichen von Angriffslust. Was es mit diesem Mützen-Werfen auf sich hatte und warum es Menenius so feindselig abwehrt, erläutert James Shapiro:
«Es konnte das Verlangen ausdrücken, die soziale Ordnung umzustürzen, die Forderung eines Regimewechsels. Die Symbolik dieser in die Luft geworfenen Mützen hat etwas Anarchisches. Tatsächlich formuliert Shakespeare in Stücken wie Coriolanus eine Bühnenanweisung wie ‹Alle werfen ihre Mützen in die Luft›. Das war das Zeichen einer bedrohlichen, rebellischen Volksmacht, mit der Könige und Theaterbesitzer rechnen mussten.»
Titelseite von Robert Armin , The History of the two maides of Moreclack, 1609. Armin, hier mit Mütze, war spezialisiert auf komische Rollen, spielte den Touchstone ( Wie es euch gefällt ), den Feste ( Was ihr wollt ) und den Narren in König Lear.
Auch in London konnten Mützenträgermobs eine potentiell bedrohliche Macht darstellen. Wollmützen vermochten, als Emblem der niederen Klassen, durchaus ungute Ahnungen auszulösen – nicht anders als die Kapuzen von heute. Shakespeares Menge im Coriolanus ist bemerkenswert nicht nur wegen ihrer sich steigernden Gewalt, sondern auch, weil diese Mützen fast den Status einer Uniform gewinnen. Nochmals James Shapiro:
«Es ist ein Weg, eine Art kollektiver Identität zu bekräftigen; junge Männer fühlen sich als Pulk, der Randale will oder leicht aufzustacheln ist. Ich glaube, Shakespeare liebt diese Energie. Man sieht solche aufgebrachten Mengen in Julius Caesar , in Coriolanus . Er findet das aufregend, unvorhersehbar. Ich glaube nicht, dass er diese jungen Männer, die sich versammeln und ihre Mützen in die Luft werfen, an sich für gut oder böse hielt. Sie bilden einfach diese energiegeladenen Gruppen von Menschen, die das politische Terrain jederzeit verändern können.»
Die Beziehungen zwischen Theaterwelt und Lehrjungen waren lebendig, eng, manchmal ungemütlich. In den meisten Theaterkompagnien wirkten Männer mit, die auch Mitglieder waren in Londoner Gilden und Zünften, also selbst einmal Lehrlinge gewesen sind: Ben Jonson, der Autor und Schauspieler, gehörte zur Bricklayers’ Company (einer Maurergilde), Robert Armin, Schauspieler bei den King’s Men , war Mitglied der Goldschmiedezunft. Auch die Kompagnien beschäftigten Lehrlinge, junge Männer nämlich, die die Frauenrollen spielten. Letztlich waren die Theater, wenn sie ein begeistertes Publikum und viele Pennys in ihren Geldbüchsen haben wollten, abhängig von Lehrjungen, ebenso wie von Trägern, Apfelfrauen, Kutschern, Fleischern, Dienern und Fischweibern. Der Verdacht, die Theater hätten einen schädlichen Einflusses auf die jungen Lehrlinge, verdichtete sich, als es zu gewalttätigen Ausschreitungen kam, in die auch Schauspieler verwickelt schienen. Am 11. Juni 1592, dem St. Barnabas-Tag, nahmen die Feiern eine böse Wendung, als die Filzmacherlehrlinge «sich versammelten durch Zufall & Vorwand bei einer Aufführung» nahe beim Rose und dann, nacheinem Tumult mit einigen Beamten, loszogen und das Marshalsea Gefängnis stürmen wollten. Natürlich versuchte sich die Theatergemeinschaft von solchen Aktivitäten zu distanzieren: «Aus ganzem Herzen», so erfahren wir vom Autor Thomas Nashe, «wünschten die Schauspieler, nicht in Schwierigkeiten zu geraten mit keinem ihrer Jungen noch mit den Lehrlingen.» 1595 jedoch, beim Londoner Tower Hill, wüteten die Lehrlinge ernsthaft. Bürgermeister und Stadtälteste machten die Theater zum Sündenbock für die Unruhen, und als sie hart durchgriffen, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen, wurden auch die Theater geschlossen. Das war kein Übermut gewesen, sondern ein ernsthafter Ausbruch, getrieben von Verzweiflung über Missernten und Hunger. Was als Protest gegen steigende
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