Shakespeares ruhelose Welt
befürchten, dass mit ihm oder ihr etwas ernsthaft nicht stimmte.
«OPHELIA: Als ich in meinem Zimmer näht’, auf einmal
Prinz Hamlet – mit ganz aufgerißnem Wams,
Kein Hut auf seinem Kopf, die Strümpfe schmutzig
Und losgebunden auf den Knöcheln hängend …
… – so tritt er vor mich.»
Hamlet läuft ohne Kopfbedeckung herum, Ophelia registriert das, und sofort wird ihr (und mit ihr dem Publikum) klar, dass er nur verrückt sein kann oder sonstwie tief verstört. Natürlich würde ein Prinz niemals eine Wollmütze tragen. Vereinfacht gesagt, je höher der Status, desto höher der Hut. Für einen dänischen Prinzen musste der Hut hoch sein, aus Taft oder Seide gefertigt, mit Gold- und Silberfäden reich bestickt, vielleicht mit einem Edelstein geschmückt.
Unsere Mütze aber ist das, was in Liebes Leid und Lust eine «plain statute cap» genannt wird, das Erkennungszeichen «simpler Bürger» (wie Schlegel/Tieck übersetzen), eine Mütze also, wie sie Handwerker und Gesellen tragen, Diener und Lehrjungen. Dessen Status war eine ganz normale Rolle im elisabethanischen Leben; Jungen wurden im Alter von etwa vierzehn Jahren Lehrling und blieben dies in der Regel sieben Jahre lang. In Shakespeares London werden gut 20.000 Lehrjungen gelebt haben – rund zehn Prozent der Stadtbevölkerung –; aus dem ganzen Land waren sie in die Stadt gezogen. Gewiss, Lehrlinge waren an ihren Meister gebunden und durften, solange ihr Dienst währte, nicht heiraten. Dennoch bildeten diese jungen Männer keineswegs das unterdrückte Proletariat einer viktorianischen Fabrik oder eines Dickensschen Arbeitshauses. Sie genossen häufig eine Menge Freiheiten, gehörten zum Haushalt des Meisters, konnten, eines Tages, selbst zu Meistern werden, und nicht wenige von ihnen zuletzt sogar eine Tochter des Meisters heiraten. Mochten sie mit der Wollmütze «simpler Bürger» herumlaufen, großspurig auftreten konnten sie allemal.
Doch diese Mütze war keineswegs ein simples Stück, nicht die Alltagsmützeeines Lehrlings. Unter der Krempe sehen wir drei Linien von Stichen in brauner Seide, mit denen einst ein braunes Seidenband gehalten wurde, und noch immer sind auch winzigste Reste eines Seidenfutters am Wollstoff zu erkennen. Wenn der König in Hamlet Laertes’ Geschick im Umgang mit dem Degen «ein bloßes Band nur an dem Hut der Jugend» nennt, dann hat er ein solch modisches Seidenband im Sinn. Unser mit Seide gefüttertes, braunes Exemplar ist vermutlich nicht respektabel genug, um als Mütze eines Meisters durchzugehen, wie sie aussieht jedoch, ist diese Mütze das beste Stück eines Lehrjungen gewesen, eines, das er zu besonderen Gelegenheiten trug, zum Beispiel beim Theaterbesuch. Ein Schauspieler, der um 1600 von der Bühne herab ins Publikum schaute, wird über ein Meer flacher Mützen geblickt haben, und viele davon werden auf Lehrlingsköpfen gesessen haben, die im Rose , im Globe oder im Fortune unter freiem Himmel standen.
Étienne Delaune , Goldschmiedewerkstatt mit Meister und Lehrlingen, August 1576. Dieses französische Blatt verdeutlicht den Status der Figuren durch ihre Kopfbedeckungen: barhäuptig der Junge, mit Kappen die Lehrlinge, der Meister in Hut mit Krempe.
Lehrjungen gehörten einfach zum Publikum der öffentlichen Theater, und man muss gewiss nicht eigens betonen, dass sich die Meister damals bitter beklagt haben über den Müßiggang der Lehrlinge, ihre Begeisterung fürs Schauspiel und für die Bierhäuser. Um 1600 lamentierte ein Tischlermeister über seinen Lehrjungen:
«Er will niemals arbeiten, hängt aber trinkend im Bierhaus & streunt den ganzen Tag in den Theatern herum, & nachts, wenn er heimkommt & wenn er ausgesperrt wird an den Türen & wird nicht hereingelassen, wird er über die Ziegelmauern klettern & wirft die Fenster ein & kommt er rein, so gibt es niemanden, der ihn lenken kann. Ich wäre froh, ihn los zu sein.»
Nicht nur Schreinerlehrlinge trieben sich tagelang in den Theatern herum, unter Shakespeares Zuschauern waren Lehrjungen aller Gewerke. Für einen Penny standen sie im Parkett. Hin und wieder aber begleiteten sie Meister oder Meisterin auch in die Ränge. Nicht selten schickten jene einen Lehrling, ihre Frauen ins Theater zu begleiten – für eine respektable Frau gehörte es sich nicht, ohne Begleitung ins Theater zu gehen. Diese unbewachten Augenblicke zwischen Meisterin und Lehrling gaben Anlass zu allerhand bangen Späßen, wie diese anzügliche Anekdote aus Henry
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