Shaman Bond 04 - Liebesgrüsse aus der Hölle
nichts anderes mehr denken konnte. Er rutschte rückwärts von William weg und gab leise Schreckenslaute von sich.
Ich blickte zu der Stelle, auf die Rafes Blick gerichtet war, und konnte verdammt noch mal gar nichts sehen. Nur die Bücher auf den Regalen und das gleichmäßig goldene Schimmern des Bibliothekslichts. Rafes Kopf stieß an einen Bücherschrank, und er schrie kläglich auf, als er feststellte, dass er nicht weiter zurückweichen konnte. Der Blick aus seinen weitaufgerissenen Augen war an etwas festgenagelt, und er gab jetzt einen langen Jammerlaut von sich. Ich trat vor, um mich selbst zwischen Rafe und William zu postieren, aber Rafe interessierte sich für keinen von uns mehr. Er warf sein Messer fort und machte bemitleidenswerte, kindische Geh-weg ! -Bewegungen mit seinen Händen. Ich hob meine Sicht und sah genau hin, aber ich konnte immer noch nichts erkennen.
»Kannst du es nicht sehen?«, fragte Rafe in einer schrillen, angestrengten Weise. »Kannst du das nicht sehen? Es will mich holen! Tu was! Lass nicht zu, dass es mich holt!«
Ich konnte spüren, wie sich all meine Nackenhaare aufstellten, als ich den absoluten Horror in Rafes Stimme hörte. Er hatte definitiv etwas vor Augen, und wenn man in Betracht zog, was das allein mit ihm anstellte, war ich froh, dass ich nicht sah, was er sah. Ich ging vorsichtig nach vorn, schnappte mir das Messer vom Boden, und Rafe robbte schnell hinter mich, um mich als Schild zwischen ihm und was auch immer ihn holen wollte zu benutzen. William war überzeugt gewesen, dass ein Etwas hier unten in der Alten Bibliothek mit ihm lebte. Etwas, das ihn beobachtete oder behütete. Rafe klammerte sich an mich wie ein ängstliches, verzweifeltes Kind.
»Lass nicht zu, dass es mich holt!«, sagte er mit zitternder und brüchiger Stimme. »Bitte. Ich werde alles sagen, was du wissen willst.«
»Komm mit mir«, sagte ich. »Ich werde dich hier herausholen. Aber wenn du mir Arger machst, dann werde ich einfach weggehen und dich hierlassen.«
»Ja. Alles. Bitte, ich kann's nicht aushalten ...«
Ich stellte mich aufrecht hin und wandte mich an die leere Stelle vor uns. »Ich bin Edwin Drood. Ich spreche für die Familie. Wer ist da?« Niemand antwortete. Das Licht flackerte nicht, die Schatten waren nur Schatten. Und ich konnte immer noch nichts sehen. Rafe hörte plötzlich auf zu wimmern. Der Laut erstickte in seiner Kehle. Ich wandte mich um und sah, wie er seinen Kopf langsam drehte, als ob er etwas beobachte, das durch die Alte Bibliothek ging und hinter den Regalen verschwand. Er brach zusammen und zitterte vor Erleichterung.
»Was war das?«, fragte ich. »Was hast du gesehen?«
Rafe schüttelte den Kopf. Er wollte es nicht sagen, so, als ob schon es beim Namen zu nennen oder es zu beschreiben ausreiche, es zurückzuholen. Endlich flüsterte er ein Wort.
»Weiß ...«
Ich ließ ihn zusammengekauert vor einem Regal sitzen, die Knie an die Brust gezogen. Er sah sich mit wilden, schockierten Augen um. Ich benutzte Merlins Spiegel, um medizinische Hilfe für William zu organisieren. Ein Arzt in einem blutverschmierten Kittel kam hindurch und untersuchte William schnell und gründlich. Er ließ seine Finger sanft über Williams gebrochenen Schädel gleiten, während er mich mit vorwurfsvollen Blicken bedachte.
»Ich muss mich um andere Patienten kümmern, weißt du. Andere Leute, die meine Hilfe brauchen. Das hier ist nichts Ernstes. Schlimm, aber reparabel. Oben sind wir so mit Notfällen vollgepackt, dass wir auf Triage laufen. Wir sortieren hoffnungslose Fälle gegen die aus, die noch zu retten sind. Der Bibliothekar kann warten.«
»Nein, kann er nicht«, sagte ich knapp. »Du gibst William Top-Priorität. Er weiß Dinge, die niemand sonst in der Familie weiß. Bring ihn mit Merlins Spiegel rauf ins Hospital, und stell sicher, dass er in der Schlange ganz vorn ist. Und zwing mich nicht, nachzusehen!«
Der Doktor seufzte. »Na los doch, mach mich fertig! Dazu bin ich ja hier.« Er rief durch Merlins Spiegel ein paar Sanitäter herüber und warf dann einen Blick auf Rafe, der immer noch zitterte und vor sich hin starrte. »Willst du, dass ich mir den da auch ansehe? Obwohl ich ziemlich sicher bin, dass ich den Schock auch von hier aus diagnostizieren kann.«
»Der bleibt bei mir«, sagte ich. Ich war noch nicht bereit zu sagen, dass wir einen Unsterblichen in der Familie hatten. Noch nicht.
Sie nahmen den immer noch bewusstlosen William mit sich, und ich
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