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Shana, das Wolfsmädchen

Shana, das Wolfsmädchen

Titel: Shana, das Wolfsmädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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»Lela!«
    Schwerer, süßlicher Geruch wehte zu mir hinüber. Lela roch stark, das machte der Regen. Sie saß ganz ruhig unter einer Kiefer. Der nasse Baumstamm schimmerte rot in der Abendsonne, die Nadeln glitzerten wie polierter Stahl, als wären sie wirkliche Nadeln. Ich ließ den Rucksack zu Boden gleiten, näherte mich der Wölfin in gebückter Haltung. Sie richtete die Ohren nach vorn. »Es ist vorbei, Lela!«, sagte ich. »Wir müssen uns trennen.«
    Sie winselte, schlug mit dem Schwanz. Ich streckte die Hand aus, streichelte die Wölfin unter dem Kinn, rieb meine Wange an ihrem Hals. Sie schloss genüsslich die Augen, beleckte zärtlich mein Ohr.
    Ich sprach leise weiter: »Hör zu, Lela! Du kannst nicht mitkommen. Die Stadt ist viel zu gefährlich für dich. Und … ich danke dir für alles. Ohne dich hätte ich es nie geschafft. Du hast mich gerettet, Lela. Und ich weiß … ich weiß, eines Tages sehen wir uns wieder!«
    Ich konnte nicht mehr sprechen. Dicke, heiße Tränen stiegen mir in die Augen. Ich verlangsamte nach und nach die Bewegung meiner Hand auf Lelas Hals, ließ sie ruhen, zog sie zurück. Die Wölfin kreuzte ihre Vorderpfoten und blieb unbeweglich. Doch ich merkte ihre Anspannung, ihre Wachsamkeit. Wölfe spüren die Gefühle der Menschen und meine Unruhe war ihr nicht entgangen. Ich war voller Schmerz, aber ich wollte den Abschied kurz machen. Ich ließ meine Hand herabfallen, wich langsam zurück, ich tastete nach dem Rucksack, kam auf die Beine.
    »Leb wohl, Lela!«
    Die Wölfin kratzte den Boden, wollte sich in Bewegung setzen.
    »Nein«, sagte ich.
    Die Wölfin sah mich an, den Kopf leicht schräg gelegt. Sie versuchte zu verstehen.
    »Bleib, Lela, bleib!«, sagte ich. »Ich gehe alleine.«
    Rückwärts ging ich ein paar Schritte. Die Wölfin zögerte, dann richtete sie sich auf, hinkte mir nach.
    »Geh nicht weiter, Lela! «
    Ich starrte sie an, gab ihr mit den Augen den Befehl, mir nicht zu folgen. Lela blieb stehen, ließ ein Winseln hören, das wie eine Frage klang. Ich drehte ihr den Rücken zu, ging ein paar Schritte. Wandte mich wieder um.
    »Bleib, Lela! Du musst bleiben!«
    Wieder entfernte ich mich ein Stück. Als ich über die Schulter sah, erblickte ich Lela. Sie saß wieder unter der Kiefer, schmal und dunkel wie eine Skulptur. Sie rührte sich nicht, bewegte auch nicht die Ohren. Ihre Augen waren auf mich gerichtet. Ein Schluchzen löste sich aus meiner Kehle. Ich wandte mich um, ging mit schnellen Schritten weiter. Die Wölfin folgte mir nicht: Sie hatte verstanden.

26. KAPITEL
    In Vancouver fand ich in der Jugendherberge Unterkunft. Ich teilte das Zimmer mit fünf anderen Mädchen. In regelmäßigen Abständen donnerte die U-Bahn am Fenster vorbei, aber das saubere Bett, der Duschraum, die Seife kamen mir nach den ausgestandenen Entbehrungen nahezu luxuriös vor. Im Spiegel stellte ich fest, dass ich entsetzlich abgemagert war. Ich hatte tiefe Ringe unter den Augen, kam mir um Jahre gealtert vor. Ich wusch mich von Kopf bis Fuß, wechselte die Wäsche. Es gab eine Kantine, wo ich Kaffee und Pfannkuchen bestellte. Nur das Nötigste, um Kräfte zu sammeln. Mit meinem Geld konnte ich einen Monat auskommen, vielleicht. Bis dahin musste ich Arbeit finden.
    Obwohl todmüde, verbrachte ich eine schlechte Nacht. Die Mädchen gingen spät zu Bett, kicherten, erzählten sich endlose Geschichten über Jungen. Doch endlich schlief ich ein und am nächsten Morgen ging es mir besser.
    Ich hatte meine Jeans gewaschen, sie waren noch klamm, aber die Körperwärme würde sie bald trocknen. Der Pullover war ausgeribbelt und voller Flecken, der Parka zerrissen und vom Regen verschimmelt, die Turnschuhe durchweicht. Immerhin war mein T-Shirt sauber. Ich kämmte mich sorgfältig, band mein Haar mit einem roten Gummiband im Nacken fest. Beim Frühstück erkundigte ich mich nach der Musikhochschule. Die Herbergsmutter gab mir einen Stadtplan. Ich erfuhr, dass man mit dem Bus schnell und bequem überall hinkam. Sie zeigte mir die Haltestelle an der nächsten Kreuzung. Ich nahm meine Geige und machte mich auf den Weg. Noch lagen ganze Teile von Vancouver im Nebel. Hochhäuser ragten schemenhaft aus dem Dunst. Es war, als ob ganze Gebäudeteile frei in der Luft schweben würden. Ein Meeresarm mit vielen kleinen Inseln, das »Burrard Inlet« erstreckte sich bis ins Stadtinnere. Menschen aller Hautfarben füllten die Straßen. Vancouver war eine lebendige Stadt, ein buntes Durcheinander von

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