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Shana, das Wolfsmädchen

Shana, das Wolfsmädchen

Titel: Shana, das Wolfsmädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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und spielte ein Andante von Mozart. Die Wölfin hob den Kopf, dem aufsteigenden Mond entgegen, heulte sanft und lang gezogen, eine ganze Weile lang. Es klang unglaublich traurig und gleichzeitig so vertraut, dass mir die Tränen kamen. Der Gesang der Wölfin, in der gleichen Tonlage wie der Geigenklang, war der Gesang des Einklangs mit der Welt.
    Und als – lange Zeit später – wieder Stille eintrat, schien diese Stille mit unsichtbaren Schwingungen erfüllt wie ein Echo, das in der dunklen Luft langsam verklang. Später lag ich, warm und geborgen, den Rücken an die Flanke der Wölfin gepresst. Der Wind spielte in Lelas braunen Haaren, ihre Ohren zuckten von Zeit zu Zeit. Auch im Schlaf horchte sie auf die nahen oder fernen Geräusche des Waldes. Der Austausch zwischen uns, der vertraute Umgang zeigten, dass Mensch und Tier auf der gleichen, unendlichen Leiter der Schöpfung Seite an Seite beieinander standen. Und ich wusste, dass wir dieses Vertrauen einzig und allein der Musik verdankten. Mit diesem Gedanken schlief ich ein.

24. KAPITEL
    Bei Sonnenaufgang war die Wölfin verschwunden. Sie schien verstanden zu haben, dass ich tagsüber gut ohne sie auskam. Zum Frühstück aß ich Blaubeeren, hoffend, dass Lela mich heute Abend wieder mit Fleisch versorgen würde. Wie gewohnt achtete ich gut darauf, wo ich langging. Bergpfade sind gefährlich, verlangen Aufmerksamkeit bei jedem Schritt.
    Im Tal waren Holzfäller an der Arbeit. Von der Anhöhe aus sah ich ein Dutzend Männer mit Helmen und orangefarbener Schutzkleidung. Als der Wind sich drehte, war das Summen der Kreissägen deutlich zu hören. Eine große Zahl Fichten war schon gefällt worden. Von oben gesehen wirkten die breiten Schnittflächen wie frisch klaffende Wunden. Der Anblick tat mir fast körperlich weh. Langsam schob eine Maschine ihr Frontschild durch das Gewirr von Ästen und Zweigen. Langholz wurde zum Abtransport aufgeschichtet, einige Schlepper standen schon bereit. Ich wanderte weiter und bald hörte ich das Plätschern von Wasser. Erst ganz sanft, dann deutlicher. Am Fuß einer Felswand schäumte ein Bach.
    Das Wasser drang an verschiedenen Stellen aus der Erde, sprühte auf Moose und Farne. Ich trank in langen, durstigen Zügen, spülte meine Thermosflasche aus, füllte sie mit frischem Wasser. Erst jetzt fiel mir auf, wie schmutzig ich war. Meine Haare waren verfilzt, meine Haut roch nach Asche und Schweiß. Ich zog meine Kleider aus, wusch mich von Kopf bis Fuß, auch das Haar. Es war entsetzlich kalt, mein ganzer Körper fühlte sich taub an. Schlotternd lief ich ins weiche Gras der Bergwiese zurück, zog mich hastig wieder an. Meine Socken stanken entsetzlich, aber ich konnte sie jetzt nicht wechseln. Auch das schmutzige T-Shirt, den befleckten Pullover und die Jeans behielt ich notgedrungen als »Reisekleidung« an. Ich wollte dem Professor nicht als Vogelscheuche vor die Augen treten! Ich hockte mich nieder, holte meinen Kamm aus dem Rucksack, entwirrte und kämmte mein nasses Haar. Die natürlichen Geräusche des Waldes fügten sich angenehm mit dem Plätschern des Baches zusammen. Plötzlich kribbelte mir das Rückgrat. Irgendwas war nicht in Ordnung.
    Im Gegenteil, irgendetwas stimmte nicht. Es war ein Geruch. Ein Geruch, der jede Nervenfaser in meinem Körper anspannte wie eine Bogensehne: ein menschlicher Geruch.
    Ich wandte mich um und sah einen der Holzfäller am Waldrand stehen. Aus meinen Poren drang Schweiß. Wie lange stand der Mann schon da? Schnell stopfte ich den Kamm in meine Gesäßtasche, schlüpfte in meine Turnschuhe. Der große, braun gebrannte Mann kam langsam näher. Jetzt sah ich sein Gesicht deutlicher. Die viereckige Kinnlade trat ein wenig hervor und mit ihr die kräftigen, fleischigen Lippen. Das Haar war dicht und wirr, ein Bart betonte die harten Wangen. Ich nahm meinen Rucksack und kam mit einem Sprung auf die Beine. Doch er stand schon vor mir, so nahe, dass er mich berühren konnte. Ich zwang mich keine Angst zu zeigen.
    »Tag«, grüßte der Mann.
    »Tag«, antwortete ich spröde.
    »Na, das ist aber eine Überraschung«, sagte er.
    Ich erwiderte das Erste, was mir in den Sinn kam.
    »Ich habe die Holzfäller gesehen.«
    Er nickte.
    »Im nächsten Jahr wird hier eine Straße gezogen.«
    »So?«
    Er zog ein Päckchen Zigaretten aus der Brusttasche, bot mir eine an. Ich schüttelte den Kopf.
    »Ich rauche nicht.«
    »Nein?«
    Er nahm selbst keine, sondern steckte das Päckchen wieder ein.
    »Bist du

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