Shane - Das erste Jahr (German Edition)
schwer, ich kann sie unmöglich mitnehmen!“
Die Mutter schien kurz zu überlegen. „Welches Buch hast du gelesen?“
Shane überlegte fieberhaft.
„Welches Buch, Shane?“
Shane blickte die Mutter an. Überlege Shane! Überlege! „Lauf gegen die Dunkelheit.“, sagte sie fast zu eilig.
Die Mutter hielt inne. Shane zwang sich, ruhig weiter zu atmen. Bitte Gertie, schluck die Lüge, schluck sie! Die Mutter hielt prüfend den Kopf schief. „Lauf gegen die Dunkelheit.“, wiederholte sie langsam.
„Ja!“ Shane bemüht sich, nicht zu euphorisch zu klingen. „Du hast mir davon erzählt, und dass du es als Kind immerzu gelesen hast, aber …“
„Aber?“
Shane setzte einen trotzigen Blick auf und sagte: „Du hast es mir verboten zu lesen. Du sagtest, ich sei noch zu jung dafür.“
„Ja, und damit hatte ich auch recht!“ Die Mutter war wütend, doch nun aus einem Grund. Shane begann Hoffnung zu schöpfen. Gertie hatte die Lüge geschluckt.
„Mein liebes Fräulein!“ Die Mutter hob den Zeigefinger. „Wenn ich dir sage, es ist noch nicht an der Zeit für dich, ein bestimmtes Buch zu lesen, dann ist das so!“
Shane blickte sie trotzig an.
„Hast du das verstanden? Dann schleichst du dich nicht einfach raus und liest es in der Bibliothek!“
Shane schaute sie weiterhin an. Noch durfte sie nicht nachgeben, das würde sie unglaubwürdig machen.
„Hast du das verstanden, Shane?“
Shane schürzte die Lippen.
„Shane!“
So, das war genug. „Ja, Mama.“
Die Mutter schaute noch immer wütend, doch Shane wusste, dass sie gewonnen hatte. Dieses Mal.
Als die Mutter das Zimmer verlassen hatte, atmete Shane laut aus. Verdammt, sie musste vorsichtig sein!
Shane lag in ihrem Bett und schaute auf den Wecker. Sie war so ungeduldig, dass sie unter der Decke zappelte. 22.34 Uhr. Die Eltern waren schon zu Bett gegangen, Shane hatte es gehört, sie hatte schnell die Augen zugekniffen, falls Gertie es einfallen würde, nochmal nach ihr zu sehen. Sie hatte sie so fest zugekniffen, dass es sie schmerzte. Wie glaubwürdig, Shane!
Die Eltern waren zu Bett gegangen, doch ob sie schon schliefen, wusste Shane nicht. Ihr war klar, dass es besser war, bis morgen früh zu warten, oder noch besser,
bis zum Wochenende, doch sie wusste ebenfalls,
dass sie das niemals schaffen würde.
Zu groß war ihre Neugier, nein, die Gier danach, das zu wissen, was sie wissen musste, was lebensnotwendig für sie war, vielleicht sogar lebensrettend; zu groß war der Schatz, den sie gehoben hatte, zu mächtig das Wissen, welches von ihm ausging. Das Wissen, welches ihr bevor stand.
Shane zwang sich zur Ruhe. Ruhig atmen, ganz ruhig atmen. Ihr Blick fiel auf den Schreibtisch. Shane schlug die Bettdecke zurück. Ich lese eine Seite aus dem Lesebuch, eine Seite, langsam und laut, und dann gehe ich und hole ihn!
Sie stand auf, blickte auf den Tisch mit dem Buch auf ihm. Sie fixierte das Lesebuch, hielt es fest wie den Gedanken, in ihm zu lesen.
Doch ihre Füße trugen sie woanders hin, schlugen eine andere Richtung ein, sie gingen zur Tür, ihre Hand legte sich auf die Klinke, und als sie in den Flur hinausgegangen war, lauschten ihre Ohren nach Geräuschen, die verraten würden, ob die Eltern noch wach waren.
Shane spürte den weichen Teppich unter ihren Füßen, der Gedanke an das Gespräch darüber, ob es Teppich oder Kork sein sollte, blitzte in ihrem Kopf auf, zischte vorüber und machte anderen Gedanken wieder Platz. Sie blickte in den dunklen Flur. Links führte die Treppe nach unten, danach kam Timmy’s Zimmer, und auf der rechten Seite das Zimmer der Eltern.
Es war still. Shane hörte nur ihren eigenen Herzschlag. Ihr eigenes Zimmer lag am anderen Ende des Flures, und die Tür, vor der sie jetzt stand, war nicht ihre eigene.
Stay out, Zombie. Shane legte die Hand auf die Klinke und trat ein.
Sie steckte den Kopf in das Zimmer hinein. Der Geruch von Mark’s Parfüm hing noch immer in der Luft. Shane trat in das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Wie immer, wenn sie (verbotenerweise) hier drin war, schaute sie sich um. Selbst jetzt, wo sie doch nur aus einem einzigen Grund hier war, aus einem eiligen, dringenden Grund.
Ach Mark.
Sie vermisste ihn. Es war leer ohne ihn, still. Langweilig. Shane schluckte.
Sie konnte jetzt nicht heulen, nicht heute. Shane hob kurz die Schultern und atmete ein. Sie blickte noch einmal zur Tür. Dann ging sie zügig vorwärts.
Im Haus außerhalb der Stadt, in dem
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