Shane - Das erste Jahr (German Edition)
heben und nach etwas Ausschau zu halten.
Es war weg.
Die Macht, welche sie sofort gespürt hatte, als sie vor den Jägern gestanden hatte war verschwunden; Shane wusste nicht ob er sie zugedeckt hatte oder nicht, doch im Moment spielte das keine Rolle. Im Moment spielte gar nichts eine Rolle, nur ob sie lebte oder sterben würde. Doch selbst das erschien für den Augenblick nicht wichtig, sie fühlte sich viel zu schwach um sich für das Leben oder den Tod zu entscheiden.
Als sie vor den Jägern gestanden hatte, in den Sekunden, als Mark seine Hand nur für sie sichtbar ausgestreckt hatte, hatte sie für einen Augenblick die Gedanken der Jäger in ihrem Kopf gespürt. Sie waren so stark und übermächtig gewesen, dass Shane beinahe zusammen gesunken wäre. Die Jäger hatten es gewusst, und nun wusste Shane es auch.
Sie versuchte abermals hochzukommen. Ihre Arme fühlten sich merkwürdig taub an, als wären sie aus Gummi.
Sie spürte die Kälte unter ihren Händen, sie nahm die Stadtmauer wahr, für deren stille Verbundenheit sie in diesem Moment dankbar war.
Shane schaffte es, den Kopf zu heben. Vor ihren Augen erschienen zwei Paar Stiefel.
„Was …“ Shane versuchte nach oben zu blicken, sie wollte ihrem Tod wenigstens in die Augen schauen. Zwei Kinderarme zogen sie aus dem Schneematsch heraus. Shane fühlte sich benommen, und als sie auf ihren Beinen stand, war ihr kurz schwindelig und sie griff sich an den Kopf. „Was …“
„Geht es dir gut?“ Maria beugte sich zu ihr, um ihr ins Gesicht zu blicken und Max stand mit verkniffenem Mund neben ihr.
„Wir haben uns Sorgen um dich …“
Maria hielt inne. „Shane?“
Shane blickte sich um. Der Mauerbruch sah aus wie ein dunkles Loch, und Shane versuchte hindurch zu sehen. Sie hatte das kurze Aufbegehren der Macht gespürt, nun war sie sich sicher, dass er sie zudeckte. Sie zudecken musste.
Sie drehte sich um und blickte in die besorgten Gesichter von Max und Maria.
Wieder überwältigten sie ihre Gedanken, doch nun kamen abertausende Gefühle hinzu und drängten sich in den Vordergrund.
Auf der Flucht hatte sich ihr Mantel geöffnet, und der kalte Winterwind wehte ihr die Haare aus dem Gesicht. Max blickte Shane stirnrunzelnd an. „Scheiße Shane, du siehst aus wie ’ne verdammte Actionfigur!“
Als sie in dem Zimmer mit dem gedämpften Licht auf dem Bett mit der riesigen Patchworkdecke saß, kam es ihr vor, als wäre sie nie weg gewesen. Der Raum war nicht groß, die eher dunkel gehaltenen Wände warfen das Licht kaum zurück; und wie immer, wenn Shane hier gewesen war, spürte sie das Gefühl von Behaglichkeit.
Maria reichte ihr einen Becher, aus dem ein Teebeutel hing. „Limone.“, sagte sie nur.
Shane nahm die Tasse und wärmte ihre Hände an ihr. Sie wusste nicht was sie denken oder tun sollte, doch im Moment kam ihr ein heißer Tee vor wie ein Stück des Himmels.
„Shane?“ Maria setzte sich neben sie.
Shane blickte sie an. Braune Augen.
Braune Augen, in die sie viel zu lange nicht mehr geblickt hatte. Auf einmal verspürte sie das Bedürfnis zu weinen, doch ihr fehlte einfach die Kraft dazu.
Maria schaute kurz zu Boden, dann hob sie den Blick. „Shane, es tut mir so unglaublich leid.“, sagte sie leise.
Shane konnte nichts tun außer zu nicken.
Sie schwiegen eine Weile.
„Ja, mir tut es auch leid.“ Max stand mit solch einer Unbeholfenheit von dem Stuhl vor dem Schreibtisch auf, dass der fast nach hinten umkippte. Er kam auf Shane zu und setzte sich ebenfalls auf das Bett. „Es ist nur…Meine Fresse, du hast uns eine scheiß Angst eingejagt!“
„Was soll ich da sagen?“, sprach Shane leise in den Limonentee.
Maria legte ihre Hand auf den Arm der Freundin. „Wir sind für dich da.“ Sie blickte kurz zu Max, der lächelte. „Schließlich wussten wir ja schon vorher, dass du ein Freak bist, stimmt’s?“
Shane lächelte.
„Echt scheiße von uns, dass wir dich hängen lassen haben.“
Shane drehte den Kopf und blickte in Max rundes Gesicht. Er drückte das Bett so weit herunter, dass sie immer näher zu ihm ranrutschte.
Dann atmete sie tief ein und zwang sich zu einem Lächeln. Für einen kurzen Augenblick, in dem sie nur Max rundes Gesicht wahrnahm und alles andere ausblenden konnte, empfand sie nichts als Dankbarkeit und so erschien das Lächeln auf ihren Lippen so echt, wie es nur sein konnte. Sie lächelte und machte den Mund auf. „Tja, wenn ich die letzten Wochen etwas gelernt habe, dann ist
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