Shanera (German Edition)
einen halben Sandlauf hinter ihr waren. Sie musste also weiter fliehen. Das Wetter war jetzt recht gut, zwar kühl, aber keine Regengefahr mehr. Nur leichte Bewölkung verdeckte immer wieder die Sonne und die kräftigen Winde des Plateaus waren hier schon zu spüren, wenn auch noch nicht in ihrer vollen Stärke.
Rasch entfernte sie sich vom Rand des Abhangs und richtete dann, als sie von unten nicht mehr zu sehen war, ihre Schritte schräg nach links auf eine halbwegs nahe gelegene Gruppe aus Hügeln und Felstrümmern. Auch kleinere, knorrige Bäume und viele Büsche waren dort zu finden. Auf diese Weise konnte sie sich schnell aus dem freien Sichtfeld entfernen und ihre Verfolger würden Zeit darauf verwenden müssen, ihre Spuren zu suchen, auch wenn dies hier oben einfacher war als in der Wand.
Nach kurzer Zeit war sie in dem unebenen Gelände untergetaucht. Sie hielt sich weiter nordwestlich. Ihr Ziel lag zwar im Westen, doch der direkte Weg an der Kante der Großen Wand entlang war hier zu gefährlich und später nach ihren Erkenntnissen überhaupt nicht mehr möglich, so dass sie einen Umweg über das Landesinnere machen musste.
Die Verfolgungsjagd ging den ganzen Tag über weiter. Shanera befand sich in ihr unbekanntem, weglosen Gelände und musste feststellen, dass sie schlecht vorankam und immer wieder gezwungen war, Umwege zu machen oder Sackgassen zurückzugehen. Zudem gab es hier so viele Pflanzen, Erde, Geröll oder Sand, dass ihre Spur für einen guten Jäger wie Koras leicht zu verfolgen war. Trotzdem ließ sie die Hoffnung nicht sinken und kämpfte sich voran. Sie schaffte es, ihren Vorsprung zu behalten.
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Schließlich hatten sie alle den unwegsamen, hügeligen Bereich verlassen. Die weite Fläche der großen Ebene lag voraus. In diesem Teil war sie von langem, im Wind wogenden Gras bewachsen, zwischendurch einzelne, dünne und gebeugte Bäume. Das Heulen des Windes war fester Bestandteil des Landes. Die Bewegungen des Grases erzeugten ein schillerndes, hypnotisches Muster.
Shanera zog eine gerade Spur durch die weite Ebene. Ihre Verfolger waren ihr auf den Fersen und sie durchteilte das Grasmeer im Laufschritt. Der Boden war eben und sie konnte einen gleichmäßigen Laufrhythmus einhalten. Ihr Atem ging in langen, tiefen Zügen. Sie fühlte sich leicht.
Das Gras schien an ihr vorbei zu fließen, der Horizont war grenzenlos. Die Wolken am Himmel bewegten sich in schnellem Tempo quer zu ihrer Richtung auf die Kante zu, wo sie träge und schwer nach unten quollen.
Einzelne Vögel glitten hoch über ihr durch den Wind. Einmal schoss ein Raubvogel nach unten und tauchte mit seiner Beute in den Klauen wieder auf. In einer eleganten Kurve drehte er nach Norden ab und war bald am Horizont verschwunden. Die endlose Weite verwirrte die Sinne. Shanera musste immer wieder ihren Kurs anhand der Sonne überprüfen, trotzdem vermutete sie, dass sie nicht ganz gerade lief.
Aber darauf kam es nicht an. Es genügte, wenn sie ungefähr die Richtung hielt. Jetzt endlich war sie wirklich unterwegs und entfernte sich mit jedem Schritt weiter von der Enge und Unfreiheit ihres Dorfes. Zela und ihr Begleiter würden sie nicht mehr zurückholen können, da war sie ganz sicher.
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An diesem Abend lief sie, bis es dunkel wurde. In der letzten Dämmerung folgte sie einem kleinen Bächlein, das sich versteckt durch das Gras schlängelte und auf das sie durch Zufall gestoßen war. Als es so dunkel war, dass ihre Verfolger keine Spuren mehr sehen konnten, verlangsamte sie ihren Lauf und blieb dann an einer Stelle stehen, an der das Gras etwas niedriger schien. Ein Feuer kam heute natürlich nicht in Frage. Sie wusch sich mit dem Wasser des Rinnsals, so gut es ging, und füllte ihren Wasserschlauch auf.
Im Dunkeln auf ihrer Decke sitzend, kaute sie auf dem Trockenfleisch aus ihrem Vorrat und betrachtete die Sterne. Auch wenn immer noch Wolken vorbeizogen, war der Himmel über ihr meistens frei. Das Dreieck des Nordens war zu sehen und viele andere Sterne und Sternnebel, die in ihrem Dorf von der Wand verdeckt waren. Das Firmament erschien wie ein funkelnder Vorhang aus unendlich vielen Lichtern.
Wie so oft dachte sie darüber nach, was sich wohl in Wirklichkeit hinter diesen kleinen hellen Punkten und Flecken verbergen mochte. In einer geheimen Schrift, die sie einmal in die Hände bekommen hatte, war die Auffassung vertreten worden, dass die Punkte wie die Sonne waren, nur sehr viel weiter weg.
Diese Vorstellung
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