Shanera (German Edition)
bedeuten, dass sie auch nach dem Umrunden der Herde auf den Abzug der Tiere warten musste.
Nun gut, sie musste sich entscheiden. Sie konnte weiterhin versuchen, ihren Verfolgern davonzulaufen, aber wenn sie über die Furt wollte, dann würden sie sich wahrscheinlich dort treffen, falls die anderen keinen groben Fehler machten.
Eigentlich hatte sie inzwischen die Lust an dieser kleinen Jagd verloren. Was würden die anderen tun? Zela wollte sie zur Umkehr bewegen, aber sie würde keine Gewalt anwenden, wenn sie nicht provoziert wurde. Und dieser andere, Koras, hatte eher den Eindruck gemacht, ihren Standpunkt ernst zu nehmen, als daran interessiert zu sein, sie gegen ihren Willen zurückzuholen.
Sie fasste ihren Entschluss. Auf dem Hügelkamm ging sie bis nahe an den Fluss heran und setzte sich auf den Boden, ihren Umhang als Unterlage benutzend. Den Blick hielt sie nach Osten gerichtet, um sowohl die Herde als auch das Gebiet im Auge behalten zu können, in dem die Verfolger auftauchen mussten. Sie nahm einen kräftigen Schluck Wasser aus ihrem Vorrat.
Als sie die Umgebung in sich aufgenommen hatte, wechselte sie in den Schneidersitz und begann eine einfache Meditationsübung, die es ihr gestattete, ihren Geist zu entspannen, ohne ihre Umgebung aus den Augen zu verlieren. Die Welt um sie herum wurde ruhig und gleichmäßig, ein Meer aus grünen Gräsern, erfüllt vom fernen Echo des Windes und dem Schnauben und Stampfen der großen Herde.
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Ihre Verfolger kamen zuerst. Sie sah sie sofort, als sie auf dem nächsten Hügelkamm auftauchten. Die Herde der Grasriesen war erst zur Hälfte auf die andere Seite gewechselt. Ruhig beendete sie ihre Meditation, erhob sich und sah ihnen wartend entgegen, bis sie nur noch ein halbes Dutzend Schritte entfernt waren und stehen blieben. Shanera sah Zela in die Augen und wartete.
Koras sah Shanera zum ersten Mal richtig. Er blickte zwischen den beiden jungen Frauen hin und her. Shanera war schlank und durchtrainiert, mit sonnengebräunter Haut und leicht zerzausten, langen, braunen Haaren. Zelas Haut erschien im Vergleich blasser, sie war zierlicher und ihre etwas kürzer geschnittenen Haare neigten zu einem dezenten Rotton. Koras eigenes Haar war beinahe schwarz.
Die Tätowierungen in Shaneras Gesicht und auf ihren Armen zeigten die Symbolik des Dorfes, eine mehrfach geschwungene, geschlossene Form. Ergänzt wurde dies mit einem Dreieck mit Punkten innerhalb der Spitzen und einer kleinen Wellenlinie quer durch zwei Seiten, ihrem persönlichen Symbol. Zelas Symbol waren zwei verschlungene Kreise mit vier Punkten, er selbst trug ein Zeichen, das entfernt an einen fliegenden Vogel erinnerte.
Auch Koras wartete. Es war nicht an ihm, zu sprechen, und er verstand auch, dass Shanera schwieg. Sie hatte ihren Standpunkt klar gemacht. Schließlich ergriff Zela das Wort.
„Du machst es uns nicht leicht, Shanera.“
Die Angesprochene lächelte leise und hob die Augenbrauen.
„Tatsächlich? Immerhin habe ich hier auf Euch gewartet. Was soll ich denn noch tun?“
„Du weißt, was ich meine. Es ist doch keine Lösung, einfach wegzulaufen. Was erwartest Du Dir denn davon?“
„Ich kann für mich selbst sorgen und deshalb sehe ich keinen Grund mehr, mich weiterhin den unsinnigen Zwängen des Dorfes zu unterwerfen. Ich will diese Welt kennen lernen und sehen, was sie zu bieten hat.“
Sie breitete die Arme aus. „Bist Du denn gar nicht neugierig auf das, was hinter den Grenzen des Dorfbereichs liegt? Ohne mich wärest Du wahrscheinlich nicht einmal bis hierher gekommen.“
„Das wäre ja ein schrecklicher Verlust für mich gewesen.“
„Denkst Du das wirklich?“
Zela musste sich eingestehen, dass die glitzernden Eishöhlen und das endlos wogende Grasmeer sehr beeindruckend gewesen waren, auch wenn sie ein bisschen zu erschöpft gewesen war, um alles richtig zu würdigen. Sie wechselte das Thema.
„Hast Du mal daran gedacht, dass ich eine Menge Ärger bekomme, wenn Du verschwindest?“
Shaneras Miene wurde ernst, ihre Augen größer. „Ist das so?“
„Ja. Wenn ich ohne Dich zurückkomme, werde ich sicher bestraft werden, weil ich nicht besser auf Dich achtgegeben habe. Gut, ich werde es überleben. Aber trotzdem ist es nicht sehr angenehm.“
Shanera blickte zu Boden.
„Das habe ich nicht bedacht.“ Sie zögerte, bevor sie fortfuhr. „Es tut mir leid, Zela. Das wollte ich bestimmt nicht. Wenn es Dir hilft, kannst Du gern alle Schuld auf mich schieben. Das stimmt
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