Shanera (German Edition)
als sie diese gerade wegräumen wollte, erklang erneut ein ähnliches Geräusch. Hastig packte sie ihre Sachen zusammen. Sie wollte nicht in der Falle sitzen, falls Teile der Höhle einzustürzen begannen.
Doch als sie ihr Bündel aufgenommen hatte und gerade ihren Zufluchtsort verlassen wollte, hörte sie, nach weiteren Geräuschen von fallenden Steinen, den Klang einer Stimme. Ein kurzer Aufschrei, es schien eine Frau zu sein.
Plötzlich fiel es ihr wieder ein. Das hier war nicht irgendeine Höhle – sondern der Eingang zu einem ganzen Höhlensystem. Und jenes diente, wenn auch selten genutzt, als Durchgang zum mittleren Hauptweg. Auf diese Weise konnten Leute aus dem Dorf sie über Nacht eingeholt haben. Shanera verfluchte ihre Gedankenlosigkeit. Sie musste schnellstens verschwinden.
Andererseits hatte es sich so angehört, als ob jemand in Schwierigkeiten sei, vielleicht ein kleiner Steinschlag oder ein Absturz. Sie hätte auch eher vermutet, dass man einige der Männer hinter ihr herschickte, anstatt einer Frau. Sie überlegte nur kurz. Sie wollte nicht dafür verantwortlich sein, dass jemandem etwas zustieß, falls sie der Person helfen konnte.
Vorsichtig schlich sie in die Höhle hinein. Ein enger Felsspalt führte in die Dunkelheit, aber nach einigen Dutzend Schritten schien es ihr, als ob vor ihr ein leichter Lichtschein sei, zudem hörte sie eine gedämpfte Stimme. Sie tastete sich weiter vor, die Helligkeit nahm zu und enthüllte eine Biegung des Ganges und dann eine Öffnung in einen weiten Raum.
Sie trat hinaus und stand auf einem Felsabsatz hoch über einer großen Höhle, vor ihren Füßen steil abstürzender Fels. Etwa ein Dutzend Schritte unter ihr begann ein schräg abfallender Geröllboden, und noch etwas weiter auf diesem standen zwei Personen mit einer Fackel, ein Mann und eine Frau in gebückter Haltung. Die Frau rieb sich das Schienbein und richtete sich dann auf.
„Zela!“, rief Shanera überrascht und schlug sich dann auf den Mund. Aber es war schon zu spät. Beide blickten zu ihr hoch.
„Shanera!“
Die Gerufene wandte sich zur Flucht.
„Bitte bleib stehen! Wir haben nach Dir gesucht!“
Sie zögerte. Die beiden konnten sie von da unten nicht direkt erreichen. Sie drehte sich wieder um.
„Zela. Es tut mir leid, dass ich mich nicht von Dir verabschiedet habe. Aber falls Ihr mich zurückholen wollt, dann kommt Ihr umsonst. Und bleibt, wo Ihr seid, sonst bin ich weg.“
Zela zog ihren Begleiter, der einige Schritte nach vorn gemacht hatte, am Arm zurück.
„Wir wollen nur mit Dir reden. Bitte bleib da. Warum hast Du das Dorf verlassen?“
„Das würdest Du doch nicht verstehen.“
„Shanera. Wir sind seit so vielen Sonnenzyklen Freundinnen. Ich finde, Du solltest es mir erklären.“ Als die Antwort ausblieb, setzte sie nach. „Willst Du, dass ich dumm sterbe? Oder bin ich an allem schuld?“
Shanera seufzte. Sie hatte sich vor diesem Gespräch gedrückt, und jetzt holte es sie doch ein, und das auch noch mit einem Zeugen. Aber das geschah ihr wohl recht.
„Wer ist er?“, fragte sie.
„Das ist Koras, einer von den Jungjägern. Er begleitet mich, damit ich hier heil wieder raus komme.“ Jetzt, wo sie den Namen hörte, erkannte sie ihn wieder, aber sie hatte bisher nicht viel mit ihm zu tun gehabt.
„Na gut, ihr beiden. Setzt Euch da unten auf den Boden, dann werde ich Euch erzählen, was ihr wissen wollt. Und dann könnt ihr wieder ins Dorf zurückkehren und braucht Euch nicht die Mühe machen, hier raufzuklettern. Denn ich werde mit Sicherheit nicht umkehren.“
Koras machte Anstalten, zu protestieren, aber Zela hielt ihn wiederum zurück. Sie hockte sich auf einen etwas größeren Stein und ihr Begleiter folgte mit finsterer Miene ihrem Beispiel. Shanera lehnte sich an den Fels hinter ihr und verschränkte die Arme.
„Es ist eigentlich ganz einfach. Unser Dorf hat keine Zukunft, und auch die anderen Dörfer nicht.“ Sie machte eine kurze Pause, um ihre Gedanken zu fassen.
„Dort zu leben, ist wie lebendig begraben zu sein. Alles ist vorbestimmt und reglementiert. Jede Abweichung von der Norm wird bestraft. Es gibt keine Entwicklung. So weit ich weiß, leben wir auf einer riesigen Welt, und was machen wir daraus? Nichts. Niemand ist jemals weiter als ein paar Tagesmärsche von unserem Dorf fortgekommen. Der Dschungel und die entfernteren Gebiete der Hochebene sind tabu.
„Das Einzige, in dem wir gut sind, ist das Erfinden neuer Vorschriften und
Weitere Kostenlose Bücher