Shanera (German Edition)
heraus. Nicht alles war dunkel, einiges glänzte oder schien sogar zu leuchten, der Haupteindruck war jedoch der eines moosigen schwarzen Felsens.
Shanera tippte auf das Bild, um die Darstellung anzuhalten. Wortlos ging sie zu Koras und zeigte ihm die Schriftrolle. Der runzelte zunächst die Stirn, dann nahm er die Karte in die Hand, vorsichtig darauf achtend, nichts falsches anzufassen.
„Zela? Kannst Du bitte mal kurz aufpassen?“
Zela, die es sich am Heck bequem gemacht hatte, warf ihm einen leicht ungnädigen Blick zu, schleppte sich dann aber ohne zu murren von ihrem Ruheplatz zum Bug und übernahm das Paddel. Sie spähte skeptisch auf die Schriftrolle, sagte jedoch nichts.
Koras deutete auf das schwarze Gebilde, ohne die Karte zu berühren.
„Fahren wir da hin?“
„So ist es.“, nickte Shanera. „Ich denke, von dort kommen die Lichter, die wir vom Berg aus gesehen haben. Die Entfernung stimmt ungefähr und außer Bäumen und diesem Ding gibt es hier nichts.“
Ihr Begleiter rieb sich die Nase, während er das Bild genauer betrachtete.
„Ich weiß nicht. Sehr einladend sieht das nicht aus.“
„Tja. Du hast recht, aber wir können nicht wählerisch sein. Zumindest wissen wir jetzt schon, dass es da ist. Wir können das Floß rechtzeitig ans Ufer steuern und uns das Ding erst mal vorsichtig ansehen, bevor wir offen in Erscheinung treten.“
„Ja, das scheint mir auch ratsam.“
Shanera vergrößerte das Bild, aber es war nicht viel zu erkennen. Die Oberfläche des kolossalen Gebildes war strukturiert und definitiv nicht natürlichen Ursprungs. Es schien einige Öffnungen zu geben, aus denen Licht heraus schien. Manchmal wuchs der Urwald bis dicht an das Bauwerk heran, an einigen Stellen gab es aber auch größere freie Plätze bis zu den Bäumen.
Zela blieb zu Shaneras Erstaunen recht gelassen, als sie sie in ihre Überlegungen einweihte und ihr das Bild zeigte. Sie konnte sich offenbar keine rechte Vorstellung von der Art und Größe dieser Konstruktion machen. Zudem schien sie vorerst bereit, Koras zu folgen, wenn dieser mit dem geplanten Weg einverstanden war.
Für Shanera war diese Einstellung zwar im Moment günstig, machte ihre Position in der Gruppe aber langfristig schwierig. Es konnte passieren, dass sie sich schon bei kleineren Unstimmigkeiten zwischen ihr und Koras einer geschlossenen Opposition gegenüber sah. Allerdings rechnete sie sowieso damit, dass ihre Begleiter nach der Erkundung des vor ihnen liegenden Ortes umkehren wollen würden.
Sie selbst wollte sich mit diesem Gedanken nicht anfreunden. Zwar war ihr jetziges Leben schwierig und unsicher, doch konnte sie sich eine Rückkehr in die enge Dorfgemeinschaft immer weniger vorstellen. Ganz abgesehen von den Problemen, die sie wahrscheinlich wegen ihrer Flucht – so musste man es ja wohl nennen – bekommen würde. Eine Trennung von ihren Freunden schon in baldiger Zukunft schien also unvermeidlich.
Während ihrer Wache hatte sie viel Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Der Fluss war breiter geworden, die Gefahr von Kollisionen geringer, und den Bereich des dunklen Baus würden sie nach ihrer Schätzung wohl frühestens morgen erreichen. Sie starrte auf das trübe Wasser hinaus, während ein neuer Regenguss geringfügige Abkühlung brachte.
Die prasselnden Tropfen verwandelten den Fluss in eine unruhige, gekräuselte und zerlöcherte Fläche ohne Anfang und ohne Ende. Sie versuchte sich vorzustellen, wie es sich anfühlte, einige Tage lang nur Sonne zu haben und bei vernünftigen Temperaturen in trockenen Kleidern herumzulaufen, statt tropfnass den Elementen ausgeliefert zu sein. Es wollte ihr nicht gelingen.
Wie konnte man hier leben, in so einem Klima? Es schien ihr gar nicht mehr sicher, dass das vor ihnen liegende Bauwerk wirklich bewohnt war. Andererseits, die Lichter sprachen in ihren Augen stark dafür. Nun, sie würden es wohl spätestens übermorgen sehen.
*
Tag 21
Die Begegnung mit den Unbekannten kam früher, als sie gedacht hatten. Die Sonne stand hoch am nächsten Tag und laut Karte hatten sie vielleicht den halben Weg zu ihrem Ziel zurückgelegt.
Am rechten Ufer tauchte hinter einer Biegung des Stroms ein kleines, dunkel gefärbtes Gebäude auf, welches man auf den ersten Blick auch für einen Felsen hätte halten können. Doch hier im Flussland des Urwalds gab es keine Steinformationen mehr. Auch hatten sie alle die dunklen Gebilde auf der Karte gesehen, deswegen war sofort klar, dass es sich um
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