Shanera (German Edition)
teilweise in die Nischen eingebaut waren. Sonst war jedoch wenig zu finden. Schließlich wandte sie sich einem der Kistenstapel zu. Die Holzkästen waren zwar verschlossen, doch nach einiger Arbeit mit ihrem Messer hatte sie einen Deckel aufgestemmt. Sie wurde für ihre Mühe mit einem Sammelsurium von Päckchen in verschiedenen Größen belohnt. Alles sorgfältig eingewickelt in einer Art Ölgewebe und beschriftet, wiederum mit einer neuen Schrift, die sie weder von der Großen Wand noch von der lebendigen Schriftrolle kannte. Sie versuchte sich zu erinnern, ob sie Ähnlichkeit mit den Zeichen in der Stadt der Toten hatte, kam aber zu keiner Entscheidung.
Sie riss eine Packung auf und fand etwas, das wie Trockennahrung aussah. Misstrauisch schnüffelte sie daran, um dann eine kleine Ecke abzubeißen. Es schien genießbar zu sein, wenn auch etwas zäh. Ein anderes, größeres Päckchen wog wesentlich schwerer in ihrer Hand. Als sie es öffnete, fand sie ein kompliziertes metallisches Gerät mit zwei lederumwickelten Handgriffen vor, das Ganze etwa so lang wie ihr Unterarm. Ein paar kleinere Päckchen, die in der gleichen Farbe beschriftet waren, enthielten größere Mengen von metallenen Spitzen, ähnlich Pfeilspitzen, was sie zu der Vermutung brachte, es müsse sich um eine Art Waffe handeln. Sie beäugte das Gerät vorsichtig, konnte aber zunächst nicht erkennen, wie es arbeitete.
Auf jeden Fall war es beunruhigend. Dieses Volk, wenn es denn tatsächlich noch hier lebte, schien technisch fortgeschritten und eine so ausgefeilt wirkende Waffe war nicht gerade ein Anzeichen für Friedfertigkeit. Ihre Weiterreise war soeben ein Stück gefährlicher geworden.
Sie schreckte auf, als durch die angelehnte Tür entfernte Geräusche an ihr Ohr drangen, die nicht in das übliche Urwald-Hintergrundrauschen passten. Sie packte die Waffe fester und klaubte zwei der Pfeilpäckchen auf, während sie angestrengt horchte. Das nächste, was sie hörte, schien ein entfernter Ruf zu sein. Das Floß! Sie sprang auf und rannte geduckt nach draußen, halb darauf gefasst, dass jemand hinter dem Eingang auf sie lauerte. Doch die Gefahr lag woanders.
Drei Boote steuerten den Fluss entlang auf das halb hinter Bäumen verdeckte Floß zu, das offenbar noch festlag. Die Boote hatten mit ihm nicht viel gemein, sie schienen massiver gebaut und ragten wesentlich höher aus dem Wasser. Die Fremden kamen schnell voran, obwohl sie gegen die Strömung fuhren, und machten sich daran, ihr Gefährt von allen Seiten einzuschließen. Shanera konnte auf einem Boot drei in grünen Farbtönen bekleidete Personen sehen, die etwas in den Händen hielten, vielleicht Waffen. Ihre Hautfarbe schien dunkler zu sein als ihre eigene.
Jetzt konnte sie auch undeutlich, hinter herabhängenden Asten halb verdeckt, ihre Freunde erkennen. Sie waren offenbar von den schnellen, jetzt beinahe an sie herangekommenen Booten überrascht worden, der Fluchtweg war ihnen abgeschnitten. Koras schien aufrecht im Floß zu stehen, seinen Stab auf den Boden gestützt, Zela etwas hinter ihm. Eines der Boote schob sich vor dem Floß vorbei. Als die Sicht wieder frei wurde, standen einige der grün bekleideten Fremden neben ihren Freunden.
Shanera hielt den Atem an. Sie konnte nichts tun, um ihnen zu helfen. Das Floß war viel zu weit weg, um es noch irgendwie erreichen zu können. Möglicherweise konnte sie durch lautes Rufen eines der Boote zu sich locken, aber es waren einfach zu viele der Fremden. Vielleicht waren diese ja auch friedlich, ihr Verhalten schien allerdings nicht unbedingt dafür zu sprechen.
Zumindest war nicht sofort ein Kampf ausgebrochen, vielmehr schienen beide Parteien nun miteinander zu reden, oder es zumindest zu versuchen. Sie hatte keine Ahnung, ob die Fremden ihre Sprache sprachen. Wenn man der Gestik trauen konnte, verlief die Diskussion kontrovers.
Shanera erfasste Angst vor einer möglichen gewaltsamen Auseinandersetzung. Offensichtlich konnten die beiden es nicht mit so vielen Gegnern aufnehmen, egal was für Waffen diese hatten. Sie sandte ein stilles Gebet zu den Göttern, dass Koras und Zela ebenfalls zu dieser Einsicht kommen und so Schlimmeres vermeiden würden.
Normalerweise würden die beiden ebenso wenig an Gewalt denken wie sie, aber wenn sie in die Enge getrieben oder bedroht wurden, konnte man nie sicher sein. Und natürlich war das Verhalten der Fremden noch weniger einschätzbar. Der Schweiß lief ihr nicht nur wegen der immer
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