Shannara I
Hochwasser zurückgehen und eine unbehinderte Überquerung des Stroms möglich sein würde. Auf der anderen Seite, in Kern, war die Streitmacht entdeckt worden, während Menion Leah noch im Hause Shirl Ravenlocks schlief, und die Menschen gerieten in Panik, als sie das Ausmaß der Gefahr, in der sie schwebten, erkannten. Die feindliche Invasionstruppe konnte es sich nicht leisten, Kern zu umgehen und direkt nach Tyrsis vorzustoßen. Kern mußte genommen werden; infolge der verringerten Garnison würde das nicht schwer sein. Nur der anschwellende Fluß und der Sturm verhinderten zunächst den Angriff.
Flick wußte von diesen Dingen nichts und dachte nur an die Flucht. Der Sturm mochte in wenigen Stunden aufhören, so daß Flick mitten im feindlichen Lager der Entdeckung ausgesetzt war. Schlimmer noch, die Invasion ins Südland hatte begonnen, und jeden Tag konnte es zu einer Schlacht mit der Grenzlegion kommen. Er konnte in die Gefahr geraten, als vermeintlicher Gnom gegen seine eigenen Freunde kämpfen zu müssen.
Flick hatte sich seit seiner ersten Begegnung mit Allanon vor Wochen in Shady Vale sehr verändert. Er hatte eine innere Kraft und Reife erlangt, ein Selbstvertrauen, dessen er sich nie für fähig gehalten hätte. Aber die vergangenen vierundzwanzig Stunden hatten ihn auf eine überaus harte Probe gestellt, eine so harte, daß selbst der erfahrene Höndel daran zu beißen gehabt hätte. Der kleine Talbewohner, unerfahren und verwundbar, spürte, daß er nahe daran war, die Nerven zu verlieren, sich ganz dem schrecklichen Gefühl von Angst und Zweifel zu überlassen, das ihn bei jedem Schritt begleitete.
Shea war der Anlaß für seine Entscheidung gewesen, die gefahrvolle Reise nach Paranor zu wagen, und mehr noch, er war derjenige gewesen, der einen beruhigenden Einfluß auf den pessimistischen, mißtrauischen Flick ausgeübt hatte. Nun war Shea schon seit vielen Tagen spurlos verschwunden, niemand wußte, ob er überhaupt noch lebte, und sein Bruder gab zwar nicht die Hoffnung auf, ihn früher oder später wiederzufinden, aber er hatte sich auch in seinem ganzen Leben noch nie so einsam gefühlt, Nicht nur befand er sich in einem fremden Land, hineingezogen in ein wahnsinniges Unternehmen gegen ein geheimnisvolles Wesen, das nicht einmal von dieser Welt war, sondern er stand auch noch ganz allein inmitten Tausender von Nordländern, die ihn ohne Bedenken töten würden, sobald sie entdeckten, wer er in Wirklichkeit war. Die ganze Situation war unerträglich, und er fing an zu bezweifeln, daß irgend etwas von seinen Handlungen sinnvoll gewesen sei.
Während die riesige Armee am Ufer des Mermidon im Schatten der Abenddämmerung kampierte, irrte ein bedrückter, angstvoller Flick unsicher durch das Lager und versuchte verzweifelt, an seiner Entschlossenheit festzuhalten. Es regnete immer noch unablässig, und aus den Soldaten wurden verschwommene Schatten, die durcheinanderwimmelten, während das Wasser alles durchtränkte. Bei solchem Wetter konnte man nicht einmal Lagerfeuer entzünden, so daß der Abend dunkel und undurchdringlich blieb. Flick schlich lautlos herum und registrierte den Ort des Hauptquartiers, die Anordnung der Gnomen- und Troll-Streitkräfte und die Aufstellung der Postenlinien, da er glaubte, sein Wissen könne für Allanon von Nutzen sein, wenn es darum ging, die Flucht des Elfenkönigs in die Wege zu leiten.
Ohne Schwierigkeiten fand er das große Zelt wieder, in dem die Maturen der Trolle und ihr wertvoller Gefangener untergebracht waren, aber es war, wie das ganze Lager, dunkel und kalt, eingehüllt in Nebel und Regen. Er hatte nicht einmal die Gewißheit, daß Eventine sich dort noch aufhielt; er mochte in ein anderes Zelt gebracht oder auf dem Marsch nach Süden fortgeschafft worden sein. Die beiden riesigen Troll-Wachen standen nach wie vor am Zelteingang, aber im Inneren schien sich nichts zu regen. Flick starrte das Zelt lange an und schlich wieder davon.
Als die Nacht herabsank und die Soldaten sich zum Schlafen niederlegten, beschloß Flick, die Flucht zu wagen. Er hatte keine Ahnung, wo er Allanon finden konnte; er vermutete nur, daß der Druide der Invasionsarmee nach Süden gefolgt war. In der Dunkelheit und im Regen würde es nahezu unmöglich sein, ihn aufzustöbern, und er konnte bestenfalls hoffen, sich irgendwo verbergen zu können, bis es hell wurde, um dann auf die Suche zu gehen. Er huschte zum Ostrand des Lagers, stieg vorsichtig über schlafende Gestalten,
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