Shannara V
wieder benutzen können. Eines Tages würde er ein Mittel finden und es wieder heil machen, seine Magie wiedererstehen lassen - genau wie Quickening vorausgesagt hatte.
Und dann würde er sich Pe Ell vornehmen. Das schwor er sich.
Kapitel 19
Bei Tagesanbruch kam die Gruppe aus ihrem Versteck. Wolken bedeckten den Himmel über Eldwist von einem Horizont zum anderen, der Morgen war grau und trüb. Ein fahles Aufhellen der feuchten, diesigen Luft war alles, was die Morgendämmerung zustande brachte, und die Schatten der Nacht zogen sich nur in die Nischen und Winkel der Stadt zurück und warteten dort auf die Rückkehr ihrer Meisterin.
Es gab keine Anzeichen des Kratzers. Die sechs aus Rampling Steep durchforschten aufmerksam die Düsternis. Um sie herum ragten die Häuser massiv und still in die Höhe. Die Straßen erstreckten sich als steinerne Schluchten in alle Richtungen. Die einzigen Geräusche waren das Heulen des Windes, das Donnern der Ozeanbrecher und die Schreie der hoch fliegenden Seevögel. Sie waren die einzige Bewegung in dieser Stille.
»Als wäre er nie hiergewesen«, murmelte Horner Dees, als er sich an Morgan Leah vorbeidrängte. »Als wäre das alles nur ein Traum gewesen.«
Sie machten sich wieder auf die Suche nach Uhl Belk. Regen, der nach Meer schmeckte und roch, begann durch den dichten Nebelvorhang zu rieseln, und sie waren in wenigen Minuten durchnäßt. Nasser Glanz legte sich über die steinernen Gehsteige und Straßen, die Hauswände, den Schutt und das Geröll, ein Belag, der die Düsternis und die Schatten widerspiegelte und mit dem Licht spielte. Der Wind blies in scharfen Stößen, fegte aus versteckten Ecken und Seitenstraßen, jagte mit lustvollem Pfeifen durch die Straßenschluchten endlos hinter sich selber her. Der Morgen rückte vor, ein langsames Knirschen der Zahnräder einer riesigen Maschine, das man nur im Geist hören und im Erlahmen des Elans fühlen konnte.
Sie fanden nicht die geringste Spur des Steinkönigs. Die Stadt war weitläufig und voller Verstecke. Selbst wenn sie sechzig statt nur sechs gewesen wären, konnte eine gründliche Suche Wochen in Anspruch nehmen. Keiner von ihnen wußte, wo sie nach Uhl Belk Ausschau halten sollten, schlimmer noch, niemand wußte, wie er überhaupt aussah. Nicht einmal Quickening konnte weiterhelfen. Ihr Vater hatte ihr nicht gesagt, wie des Steinkönigs Erscheinung sein mochte. Sah er aus wie sie? Hatte er menschliche Gestalt? War er groß oder klein? Morgan stellte diese Fragen, während sie nah an den Hausmauern entlang durch die Düsternis trotteten. Keiner wußte es. Sie suchten ein Gespenst.
Mittag verstrich. Häuser und Straßen kamen und gingen in endloser Prozession von Obelisken und glänzend schwarzen Bändern. Der Regen ließ erst etwas nach und wurde dann stärker. Donner grollte über ihren Köpfen, träge und drohend. Die sechs nahmen in dem dämmrigen Eingang eines der Gebäude ein kaltes Mahl ein und tranken etwas Wasser, während der Regen zum Wolkenbruch wurde, der die Straßen mehrere Zentimeter hoch überflutete. Sie lugten hinaus und schauten zu, wie sich das Wasser in Bächen sammelte und in steinernen Abflußgittern verschwand.
Als der Regen schließlich nachließ, machten sie sich wieder auf den Weg und gelangten nach kurzer Zeit zu dem merkwürdigen Kuppelbau, den sie am Vortag von dem obersten Stockwerk eines Hauses entdeckt hatten. Er stand zwischen den steinernen Türmen wie eine riesige Muschel. Die Oberfläche war abgenutzt, voller Kerben und Risse. Sie gingen darum herum, suchten nach einem Eingang und fanden keinen. Es gab keine Türen, keine Treppen, keine Fenster, es gab überhaupt keine Öffnungen.
Es gab Nischen und Alkoven und Einbuchtungen verschiedener Größen und Formen, die das Ganze wie eine Skulptur wirken ließen, aber keinen Ein- oder Ausgang. Es gab auch keine Leitern oder Fußstützen, die ihnen erlaubt hätten, hinaufzuklettern. Es war ihnen unmöglich festzustellen, wozu es gedient hatte. Es stand da in der Düsternis und trotzte ihnen.
Das gestrige Debakel saß ihnen noch in den Knochen, und sie kehrten rechtzeitig in ihren Unterschlupf zurück. Sie hatten sich nicht viel zu sagen, saßen in der zunehmenden Dunkelheit jeder für sich, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt.
Im Laufe jenes Tages war keinerlei Zeichen vom Malmschlund oder dem Kratzer zu sehen gewesen. Der Einbruch der Nacht brachte beide wieder hervor. Zuerst hörten sie den Kratzer, das Knirschen
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