Shannara V
hatte keine Angst vor Walker Boh, aber Walker Boh hatte auch keine Angst vor ihm.
Noch nicht.
Die Minuten verstrichen, die Nacht schritt voran, und die Straßen blieben still und leer. Pe Ell wartete geduldig. Er wußte, daß der Kratzer irgendwann kommen würde, wie er es jede Nacht getan hatte, um ihr Versteck zu suchen und sie zu finden, entschlossen, sie zu vernichten. Heute nacht würde er keine Ausnahme machen.
Pe Ell erlaubte es sich, eine Weile die Implikationen zu betrachten, die im Besitz einer Magie wie der des schwarzen Elfensteins lagen - einer Magie, die jegliche andere Magie zunichte machte. Was würde er damit anfangen? Seine scharfen, ziselierten Züge runzelten sich amüsiert. Er würde sie erst einmal gegen Felsen-Dall benutzen. Er würde sie einsetzen, um Dalls eigene Magie aufzuheben. Er würde sich in die Südwache schleichen, den Ersten Sucher ausfindig machen und ihm ein Ende bereiten. Felsen-Dall war inzwischen eher lästig als nützlich; Pe Ell hatte keine Lust mehr, ihn zu ertragen. Es war an der Zeit, ihre Partnerschaft ein für allemal zu beenden. Anschließend würde er den Talisman gegen die übrigen Schattenwesen einsetzen, sich vielleicht zu ihrem Führer machen. Außer, daß er eigentlich nichts mit ihnen zu tun haben wollte. Vielleicht war es besser, sie einfach allesamt zu eliminieren - zumindest alle die, die er erwischen konnte. Er lächelte erwartungsvoll. Das wäre eine interessante Aufgabe.
Er lehnte sich zufrieden in den Schatten seines Verstecks zurück. Er würde natürlich erst lernen müssen, die Magie des schwarzen Elfensteins zu handhaben. Ob sich das als schwierig erweisen würde? Wäre er darauf angewiesen, daß Quickening ihn instruierte? Würde er dafür sorgen müssen, daß sie ein bißchen länger am Leben blieb? Er schauderte erwartungsvoll. Die Lösung würde sich ergeben, wenn es soweit war. Zunächst mußte er sich ganz darauf konzentrieren, in den Besitz des Elfensteins zu gelangen.
Fast eine ganze Stunde verstrich, bis er endlich den Kratzer näher kommen hörte. Der Schleicher kam von Osten. Seine metallenen Füße schabten leise über den Stein, während er durch die Finsternis glitt. Er kam direkt in Pe Ells Richtung, und der Mörder sank in die Dunkelheit des Treppenhauses zurück, bis seine Augen auf Straßenhöhe waren. Von hier aus wirkte das Biest riesig, sein gewaltiger Leib schaukelte auf den eisengepanzerten Beinen, sein Peitschenschwanz war eingerollt und bereit, jederzeit zuzuschlagen, seine Tentakel tasteten wie Fühler durch die feuchte Luft. Seine Körperwärme ließ Dampf von seinem Eisenpanzer aufsteigen, die Luftfeuchtigkeit kondensierte sich und tropfte auf den Boden. Er ließ seine Tentakel in Eingänge und Fenster, durch die Rinnen unter den Gehsteigen, in die Abflüsse und die Wracks der versteinerten, umgekippten Wagen schlängeln. Einen Augenblick lang glaubte Pe Ell, das Biest hätte ihn entdeckt, doch dann lenkte irgend etwas die Aufmerksamkeit des Schleichers ab, und er stampfte vorbei und verschwand in der Nacht.
Pe Ell wartete, bis er ihn kaum noch hören konnte, dann schlüpfte er aus seinem Versteck und nahm die Verfolgung auf.
Er folgte dem Kratzer die ganze Nacht durch die Straßen, die Gassen, durch die Eingangshallen und Säle riesiger, alter Häuser und entlang der Klippen, die im Westen und Norden die Stadt eingrenzten. Der Kratzer ging überallhin, ein Tier auf der Jagd und ständig in Bewegung. Pe Ell schlich die ganze Zeit hinter ihm her. Meistens konnte er ihn nur hören, nicht sehen. Er mußte sorgsam darauf achten, ihm nicht zu nahe zu kommen, denn sonst würde die Kreatur seine Anwesenheit wahrnehmen und ihn zu erwischen versuchen. Pe Ell machte sich selbst zu einem Teil der Schatten, nur ein weiteres Objekt in der endlosen steinernen Landschaft, ein Ding aus Rauch und Nichts, das nicht einmal der Kratzer entdecken konnte. Er hielt sich auf den Gehsteigen nahe an den Hausmauern, mied die Straßen mit ihren Falltüren und hielt sich fern von allen offenen Plätzen. Er hastete nicht, hielt seine Schritte gleichmäßig. Katz und Maus zu spielen erforderte eine Menge Geduld.
Und dann gegen Morgen verschwand der Kratzer plötzlich. Wenige Minuten zuvor hatte er ihn noch gesehen, als er im Zentrum der Stadt eine Straße hinunterwatschelte, ziemlich nah an dem Gebäude, wo sich die anderen versteckten. Er konnte seine Beine und Tentakel rasseln, seinen Leib sich drehen hören, und dann nichts mehr. Stille.
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