Shannara V
seiner anderen Sinne. Die Nacht war sein natürlicher Verbündeter. Tageslicht konnte ihn womöglich sogar behindern.
Und wohin verkroch er sich während des Tages, fragte Pe Ell weiter. Wieder schien die Antwort auf der Hand zu liegen. Wie jedes Haustier ging er zu seinem Herrn und Meister zurück. Das hieß, daß, wenn es Pe Ell gelang, dem Kratzer in seinen Tagesunterschlupf zu folgen, eine große Wahrscheinlichkeit bestand, dann auch den Steinkönig ausfindig machen zu können.
Pe Ell glaubte, daß er es schaffen konnte. Die Nacht war auch sein Verbündeter; er hatte fast immer in der Dunkelheit gejagt. Seine eigenen Sinne waren so scharf wie die des Schleichers. Er konnte den Kratzer ebensoleicht jagen wie der Kratzer ihn. Der Kratzer war ein Monster, es war sinnlos zu glauben, er habe eine Chance gegen solch ein Biest in einer direkten Konfrontation, selbst mit der Unterstützung des Stiehls. Aber Pe Ell konnte ein Schatten sein, wenn er wollte, und dann konnte ihm nichts etwas anhaben. Er würde sein Glück versuchen, er würde mit dem Kratzer Katz und Maus spielen. Pe Ell fühlte vieles, doch Angst gehörte nicht dazu. Er hatte einen gesunden Respekt vor dem Schleicher, aber er fürchtete ihn nicht. Schließlich war er der Klügere von den beiden.
Wenn es Nacht würde, wollte er es beweisen.
Also verschlief er die Tagesstunden, direkt unter dem Fenster außer Sicht hingestreckt, wo er das fahle Sonnenlicht auf seiner Haut fühlen und die Geräusche von irgendwem oder irgendwas hören konnte, das unten auf der Straße vorbeikam.
Als es dunkel wurde, die Luft feucht und kühl, erhob er sich, glitt die Treppen hinunter und durch die Tür hinaus. Lange blieb er in der Dämmerung stehen und lauschte. Er hatte die anderen von ihrer Tagesjagd nicht zurückkommen hören; das war merkwürdig. Vielleicht waren sie durch eine andere Tür in ihren Unterschlupf gegangen, doch er war sicher, daß er sie auch dann gehört hätte. Er zog kurz in Betracht, sich hineinzustehlen und schnell nachzuschauen, doch gab den Gedanken gleich wieder auf. Was ihnen widerfuhr, hatte nichts mit ihm zu tun. Selbst Quickening war nicht mehr so wichtig. Jetzt, da er nicht in ihrer Nähe war, stellte er fest, daß er weit weniger unter ihrem Bann stand. Sie war einfach ein Mädchen, das zu töten er ausgesandt worden war, und er würde sie töten, falls sie noch am Leben war, wenn er von seiner nächtlichen Jagd zurückkam.
Er würde sie alle töten.
Die Schreie der Seevögel klangen fern und klagend durch die Abendstille, leises Wimmern, vom Meereswind getragen. Er konnte das dumpfe Donnern der Brecher gegen Eldwists Küste und das ferne Rumpeln des Malmschlunds irgendwo tief unter der Stadt vernehmen.
Den Schleicher hörte er nicht.
Er wartete, bis es vollständig dunkel geworden war, bis der Himmel sich mit Wolken und Nebel bedeckt hatte und die Finsternis sich über die Gebäude legte und ihre Schattenmuster darum spann. Er hatte inzwischen alle nächtlichen Geräusche gehört und identifiziert; sie waren ihm so vertraut wie das Klopfen seines eigenen Pulses. Er machte sich auf, nichts als ein weiterer Schatten in der Nacht. Wachsam und flink huschte er von Schatten zu Schatten die Straße hinunter. Außer seinem Stiehl trug er keine Waffe bei sich, und der Stiehl war sicher in seinem Futteral unter der Hose verborgen. Die einzigen Waffen, die er im Augenblick brauchte, waren Instinkt und List.
Er gelangte an eine Straßenkreuzung, wo er sich zum Warten in einen dunklen Eingang zu einer Tunneltreppe kauern und alles im Umfeld von zwei Blocks überschauen konnte. Er lehnte sich an den steinernen Mittelpfeiler und wartete.
Seine Gedanken wanderten zu dem Mädchen.
Quickening, die Tochter des Königs vom Silberfluß - sie war ihm ein Rätsel, das ihn verrückt machte; sie erweckte so viele widersprüchliche Gefühle in ihm, die er kaum auseinandersortieren konnte. Es wäre besser gewesen, wenn er sie einfach alle beiseite gefegt und getan hätte, was Felsen-Dall ihm aufgetragen hatte - sie umbringen. Aber er konnte sich nicht so recht dazu entschließen. Es war mehr als nur Trotz gegen Dall und seine ständigen Versuche, ihn für die Sache der Schattenwesen zu benutzen, mehr als nur seine Entschlossenheit, die Angelegenheit auf seine eigene Weise anzugehen. Es waren die Zweifel und das Zögern, die sie in ihm weckte, das Gefühl, daß er irgendwie die Dinge nicht ganz so unter Kontrolle hatte, wie er glaubte, daß sie Dinge über
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