Shannara V
Augen zufallen und ihre Gedanken wandern. Wie weit waren sie jetzt vom Fluß entfernt? fragte sie sich. Der Rowen lag zwischen ihnen und Arborlon, und wenn sie ihn erst einmal überquert hatten, würden sie bald bei den Elfen sein. Sie überlegte einen Moment, was das bedeutete. Sie hatte sich bisher kaum die Zeit genommen, einfach nur über die Tatsache nachzudenken, daß die Elfen überhaupt existierten und daß sie nicht nur ein Gerücht oder eine Legende, sondern real und lebendig waren und daß sie sie, allen Umständen zum Trotz, gefunden hatte. Oder zumindest fast gefunden hatte.
Noch ein Tag, höchstens zwei…
Sie öffnete ihre Augen wieder, und im selben Augenblick sah sie das Wesen.
Zuerst dachte sie, daß sie sich geirrt hätte und daß ihr die Schatten einen Streich gespielt hätten. Aber es war hell genug, daß sie dem vertrauen konnte, was sie sah. Es kauerte mehrere Fuß hinter Garth bewegungslos auf einem Felssims. Es war klein, kaum ein Dutzend Zoll groß, schätzte sie, obwohl sie da nicht sicher sein konnte, solange es so am Boden kauerte. Es hatte große, runde Augen, die unbeweglich schauten, und große Ohren, die von einem kleinen Kopf mit einem Fuchsgesicht abstanden. Es hatte einen dürren Körper und sah auf den ersten Blick fast spinnenähnlich aus - so sehr, daß Wren erst den Wunsch zu einer heftigen Reaktion unterdrücken mußte, da es sie an die Begegnung mit dem Wisteron erinnerte. Aber dieses Wesen sah klein und hilflos aus, und es hatte kleine Hände und Füße wie ein Mensch. Es sah sie an, und sie erwiderte den Blick. Sie wußte instinktiv, daß das seltsame Wesen diesen Spalt genau wie sie als Versteck gewählt hatte. Es saß wie erstarrt an seinem Platz, um nicht gesehen zu werden, aber jetzt war es entdeckt worden und versuchte zu entscheiden, was es tun sollte.
Wren lächelte und verhielt sich ruhig. Das Wesen beobachtete sie, und seine Augen suchten umher. Schließlich machte Wren Garth aufmerksam, hob langsam die Hände und erklärte ihm, was vor sich ging. Sie bat ihn, sich neben sie zu setzen. Das tat er, und sie saßen zusammen da und betrachteten das Wesen. Nach einer Weile griff Wren in ihr Bündel und zog etwas Essen hervor. Sie nahm einen Bissen Käse und gab Garth den Rest. Der große Mann aß ihn auf. Die Zunge des Wesens fuhr heraus.
»Hallo, Kleiner«, sagte Wren sanft. »Hast du Hunger?«
Die Zunge erschien erneut.
»Kannst du sprechen?«
Keine Antwort. Wren beugte sich mit einem Stück Käse in der Hand vor. Das Wesen bewegte sich nicht. Sie näherte sich etwas mehr. Das Wesen blieb reglos. Sie zögerte und war sich nicht sicher, was sie als nächstes tun sollte. Als sich das Wesen noch immer nicht bewegte, streckte sie vorsichtig die Hand aus und warf den Käse auf den Sims.
Blitzschnell schoß die Hand des Wesens vor und fing den Käse noch halb in der Luft ab. Nachdem es seine Beute herangezogen hatte, schnüffelte es daran und schluckte den Brocken dann hinunter.
»Du bist tatsächlich hungrig, nicht wahr?« flüsterte Wren.
Am Eingang ihres Versteckes war ein Scharren zu hören. Das Wesen auf dem Felsen verschwand sofort in den Schatten. Wren und Garth wandten sich mit gezogenen Schwertern um.
»Grrrrrrrr«, murrte Stresa, als er grummelnd langsam in ihr Blickfeld kam. »Der Dämon wollte die Jagd nicht aufgeben. Phfffft. Es hat doch länger gedauert, ihn loszuwerden, als ich gedacht hatte.« Er schüttelte seine Stacheln, bis sie rasselten.
»Geht es dir gut?« fragte Wren.
Der Stachelkater sträubte sich. »Natürlich geht es mir gut. Oder sehe ich nicht danach aus? Ssstttt! Ich bin außer Atem, das ist alles.«
Wren schaute verstohlen zu dem Sims hinüber. Das seltsame Wesen war wieder da und beobachtete sie.
»Kannst du mir sagen, was das ist?« fragte sie und deutete mit dem Kopf auf das Wesen.
Stresa spähte in die Dunkelheit und schnaubte dann. »Sssfftt. Das ist nur ein Baumschreier! Völlig harmlos.«
»Er sieht erschreckt aus.«
Der Stachelkater blinzelte. »Baumschreier erschrecken vor allem. Das ist es, was sie am Leben erhält. Das und ihre Schnelligkeit. Sie sind die schnellsten Wesen auf Morrowindl. Und auch klug. Sie sind klug genug, sich nicht fangen zu lassen. Du kannst sicher sein, daß es noch einen zweiten Weg aus diesem Spalt heraus gibt, sonst wäre dieser überhaupt nicht hier. Rrrwwlll. Schau dir seinen Blick an. Er scheint sich für dich zu interessieren.«
Wren sah das kleine Wesen weiterhin an. »Haben die
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