Shannara V
sie jemals große Angst vor irgend etwas gehabt hätte. Das lag einfach nicht in ihrer Natur. Sogar als sie klein und die Welt für sie noch neu und fremd war und eigentlich alles darin entweder größer oder stärker oder schneller oder böser war als sie, hatte sie niemals Angst gehabt. Egal, wie groß die Gefahr auch war oder welche Widrigkeiten es gab, sie hatte immer darauf vertraut, daß sie schon irgendwie einen Weg finden würde, sich zu schützen. Dieses Vertrauen war ihr angeboren. Es war eine Mischung aus einer Entschlossenheit, die einem eisernen Willen entsprang, und Selbstsicherheit, die ihr das ganze Leben lang eine besondere Art innerer Stärke verliehen hatte. Als sie größer wurde und besonders nachdem sie zu den Fahrenden gekommen war und mit Garth trainiert hatte, hatte sie sich so viel Können und Erfahrung angeeignet, wie notwendig war, um sicher zu sein, daß ihr Vertrauen niemals fehl am Platze war und sie niemals ihre Fähigkeiten überschätzte.
All das hatte sich geändert, seit sie mit der Suche nach den Elfen begonnen hatte. Zweimal hatte sie seitdem unerwartet bemerkt, daß sie ängstlich war. Das erste Mal in jener ersten Nacht am Signalfeuer, als sich das Schattenwesen, das ihnen durch das ganze Westland gefolgt war, schließlich gezeigt hatte und sie zu ihrem Entsetzen feststellen mußte, daß es ihr überlegen war. All ihr Training und all ihr Können hatten ihr nichts genützt. Sie hätte wissen müssen, daß es so kommen würde. Schließlich hatte Par sie gewarnt, als er so genau über sein Zusammentreffen mit den dunklen Wesen berichtete. Aber aus irgendeinem Grunde hatte sie gedacht, daß es bei ihr anders sein würde - oder vielleicht hatte sie ganz einfach überhaupt nicht darüber nachgedacht, wie es bei ihr sein würde. Wie dem auch sei, dort war sie ohne Garth gewesen, den sie für stärker und schneller als jeden anderen gehalten hatte, von Angesicht zu Angesicht mit etwas, das von keinem noch so großen Vertrauen und keiner der von ihr erworbenen Fertigkeiten überwunden werden konnte, seien sie auch noch so groß.
Sie wäre in jener Nacht gestorben, hätte sie nicht die Magie der Elfensteine anrufen können. Die Magie allein hatte sie beide retten können.
Als sie jetzt mit ihren Begleitern durch die Dunkelheit und den Vog von Morrowindl schritt, als sie langsam in eine alptraumhafte Welt voller Schatten und Monster hineinkrochen, stellte sie wieder fest, daß sie Angst hatte. Sie versuchte, dieses Gefühl durch Vernunft loszuwerden, sie versuchte, Gründe dagegen zu finden. Nichts half. Sie kannte die Wahrheit, denn diese Wahrheit war dieselbe wie in jener Nacht auf Wing Hove, als sie dem Schattenwesen begegnete. Vertrauen, Können, Erfahrung und Garths beschützende Gegenwart, die doch so gewaltig war, boten ihr hier wenig Beruhigung. Morrowindl war ein Hexenkessel unvorstellbarer Magie und nicht durch Vernunft geleitetes Übel, und sie besaß eine einzige Waffe, die sich wahrscheinlich als nützlich dagegen erweisen würde: die Elfensteine. Einzig Magie hielt die Elfen in den Mauern von Arborlon am Leben. Magie, wie fehlgeleitet sie auch sein mochte, hatte offensichtlich das Übel heraufbeschworen, das sie belagerte. Magie hatte die Insel und die Wesen, die auf ihr lebten, für immer verändert. Es gab für Wren keinen Grund für die Annahme, daß sie auf Morrowindl sehr lange überleben könnte, ohne selbst die Magie zu gebrauchen.
Aber der Gedanke, von der Magie Gebrauch zu machen, machte ihr genauso Angst wie die Monster, gegen die die Magie sie beschützen sollte. Wie verrückt das war! Als Fahrende hatte sie ihr ganzes Leben damit verbracht, zu lernen, daß sie sich auf ihr eigenes Können und ihre Ausbildung verlassen mußte, und zu glauben, daß es nichts gab, was sie nicht besiegen könnte. Das hatten Garth und das Leben als Fahrende sie gelehrt, aber wichtiger war das, wovon sie bisher überzeugt gewesen war: Die Welt und die Dinge darin werden von einem Netz von Verhaltensvorschriften regiert. Lerne diese Vorschriften, und du kannst allem widerstehen. Zeichen zu lesen, Gebräuche zu verstehen, die Schwächen und Stärken eines anderen zu kennen, seine Sinne dazu zu gebrauchen, zu entdecken, was es überall gab - das alles waren die Grundsätze, die einen am Leben erhielten. Aber Magie? Was war Magie? Sie war unsichtbar, eine Macht jenseits der Naturgesetze, eine Unbekannte, die dem Verstehen trotzte. Sie war eine Macht ohne erkennbare Grenzen. Wie konnte
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