Shannara VI
er für das Zerreißen seiner Fesseln brauchte - ein Erkennen dessen, wer und was er geworden war, Verständnis dafür, wie er verwandelt worden war. Die Wahrheit, das Spezialgebiet des Schwertes, würde ihm helfen, daraus zu entkommen. Par war sich sicher gewesen, daß es wirklich das Schwert von Shannara war, das er besaß, weil sich die Magie offenbart hatte, als Coll ihn oberhalb von Tyrsis angegriffen hatte. In der Hitze ihres Gefechts hatte sie sich in sie beide hineingewunden, hatte Par wissen lassen, daß Coll lebte, und hatte Coll einen erschreckenden Einblick in das gegeben, was er geworden war. Laß die Magie des Schwertes meinen Bruder durchdringen, hatte Par geglaubt, und Coll wird frei sein.
Tränen traten in seine Augen, als er sich der Intensität auf Pars Gesicht erinnerte, als sie im Kampf verflochten in der Gewalt dieses Sturmes gestanden hatten. Erneut sah er die Lippen seines Bruders, wie sie sich bewegten und ihm zuflüsterten: Coll. Hör mir zu. Coll. Höre die Wahrheit.
Und die Wahrheit war gekommen, war aus dem Schwert von Shannara in befreiender weißer Hitze heraufgelodert, hatte sich in Coll hinabgewunden und die Magie der Schattenwesen zerschmettert, so daß er das Spiegeltuch hatte abnehmen und für immer fortwerfen können. Die Wahrheit war gekommen, und Coll war tatsächlich befreit worden.
Aber diese Wahrheit war niemals Pars Wahrheit gewesen - und niemals diejenige, die Par geben sollte. Es war Colls Wahrheit gewesen - und ihm allein war bestimmt, sie zu übernehmen.
Im Osten brach die Sonne durch das abziehende Unwetter hindurch, und das Grau der Dämmerung wich goldenem Tageslicht. Coll betrachtete es und fühlte sich, als sei alle Traurigkeit, die er jemals kennengelernt hatte, in diesen einzigen Moment der Zeit hineingepreßt worden.
Par hatte nicht die Magie des Schwertes von Shannara heraufbeschworen. Coll hatte es getan. Nicht ein Mal, sondern beide Male, und jedesmal ohne zu erkennen, was er tat oder daß sie seinem Befehl unterstand. Coll, nicht Par, war der Ohmsford, für den das Schwert bestimmt war. Aber die Wahrheit war hier, wie bei so vielen Dingen, genauso schwer erfaßbar wie Rauch, und es brauchte Zeit, sie zu erkennen. Allanon hatte Coll keine Aufgabe übertragen, als sie sich am Hadeshorn versammelt hatten - und dennoch besaß er die Macht, die Magie des Schwertes von Shannara heraufzubeschwören. Es war einsichtig, daß es so sein sollte, wenn man darüber nachdachte. Er war Pars Bruder und, wie Par, ein Erbe der Elfenmagie. Sie teilten dasselbe Elfenblut und Geburtsrecht. Aber Par war die Aufgabe übertragen worden, und auf Par war folglich alles konzentriert gewesen. Par war gesandt worden, das Schwert wiederzuerlangen, geschützt durch seine eigene Magie und seine unbeugsame Entschlossenheit. Er war sich seines Zweckes selbst dann sicher gewesen, wenn die anderen der kleinen Gruppe gezweifelt hatten. Par war gesandt worden, und Allanon mußte gewußt haben, daß er nicht scheitern würde. Aber warum war ihnen nicht gesagt worden, daß das Schwert für Coll bestimmt sein würde? Warum war von ihm nichts verlangt worden?
Er verschränkte die Hände vor sich. Er erinnerte sich daran, wie es sich angefühlt hatte, als er die Magie des Schwertes zum Leben erweckt hatte, ein unerklärliches, kühles weißes Feuer. Sogar noch während er in der Knechtschaft des Spiegeltuchs gefangen gewesen war, hatte er gespürt, wie sie aufkam, wie ein Strom, der alles davor Gewesene überspülte. Wahrheiten zerbrachen die Barrieren der Magie der Schattenwesen, zuerst kleinere, Erinnerungen an die Kinderzeit und Jugend, dann größere, gravierendere und beharrlichere, Schläge, die seine Entschlossenheit lähmten, die ihn nach und nach gegen das stärkten, was folgen sollte. Die Wahrheiten waren schmerzlich, aber sie waren auch heilsam, und als die letzte Wahrheit aufgedeckt war - die Wahrheit dessen, wer und was er geworden war -, konnte er sie akzeptieren und der Scharade ein Ende bereiten, in die er eingebunden gewesen war.
Er hatte die Geschichte des Schwertes von Shannara tausendmal erzählt - wie der Talisman in den Händen Shea Ohmsfords vor fünfhundert Jahren zum Leben erwacht war, wie er sich selbst den Talbewohnern offenbart und dann den Dämonenlord entlarvt hatte. Er hatte diese Geschichte so oft erzählt, daß er sie im Schlaf hersagen konnte.
Aber selbst das hatte ihn nicht auf das vorbereitet, was er als Nachwirkung auf den Gebrauch der Magie jetzt empfand.
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