Shannara VI
sicherlich früher oder später tun mußte. Vielleicht würde sich Quickenings heilsame Berührung, die Magie, die seinen Talisman wiederhergestellt hatte, am Ende als genauso tödlich erweisen wie die der Schattenwesen.
Dieser Gedanke verursachte ein Gefühl der Kälte und der Leere und unglaublicher Einsamkeit in ihm. Er saß regungslos in den Schatten, schaute über das Land hinaus und wartete darauf, daß die Dunkelheit es verschlang.
Kapitel 24
Drei Tage zuvor war bereits schon einmal ein Unwetter vorübergezogen, ein deutlich heftigeres, ein wolkenbruchartiger, lang anhaltender Regen, der von explosionsartigem Donner und Blitzschlägen begleitet worden war und von einem rauhen, heulenden Wind getrieben wurde. Er hatte zu einer Überflutung geführt, wie sie regelmäßig mit dem Aufbau der spätsommerlichen Hitze im Grenzland kam und ging. Sie brach in der Dämmerung über Callahorn herein, überschwemmte das Land die ganze Nacht lang und verschwand bei Einbruch der Morgendämmerung gen Süden.
In ihrer Spur erhob sich eine einsame Gestalt vom durchnäßten Boden am Rande des Regenbogensees. Sie war bis zur Unkenntlichkeit beschmutzt und gebeugt, als würden Ketten sie niederdrücken.
Dunkle Augen blinzelten und versuchten, sich auf einen Punkt zu konzentrieren. Der Tag erwachte spät, vielleicht aus Sorge, daß das Unwetter zurückkehren könnte, denn dunkel umrandete Wolken verweilten noch wie zufällig am bleiernen Himmel, und der Sonnenaufgang begann eisengrau und zaghaft und vermochte kaum die hartnäckigen Schatten der Nacht zurückzudrängen. Die Gestalt schaute über die weite Fläche des Sees hinweg. Eine Hand hielt ein Schwert, das nur an den Stellen schwach schimmerte, wo das Gras und der Schlamm, die an ihm klebten, bis auf das Metall abgeschabt worden waren. Die Gestalt zögerte unsicher, stolperte dann zum Rand des Sees, tauchte Hände und Gesicht ein und schließlich auch den Körper, wusch sich, bis nur noch ein Gewirr von Lumpen und bloßer Haut übrigblieb.
Schlamm und Dreck wirbelten im dunklen Wasser davon, und Coll Ohmsford erhob sich, um sich umzusehen.
Zunächst konnte er sich an nichts anderes erinnern als daran, wer er war - obwohl ihm das sehr wichtig war, als wäre seine Identität einmal fragwürdig gewesen. Er erkannte den Regenbogensee, den Boden, auf dem er stand, und das Land, das ihn umgab. Er stand am südlichen Ufer des Sees, westlich von Culhaven und nördlich des Battlemound. Aber er wußte nicht, wie er hierhergekommen war.
Er schaute auf die Klinge in seiner Hand hinab (Hatte er es geschafft, sich zu waschen, ohne sie loszulassen?) und erkannte, daß er das Schwert von Shannara hielt.
Und dann kamen die Erinnerungen so voller Wucht zu ihm zurück, daß er keuchte und zurückwich, als habe ihn ein Schlag in die Magengrube getroffen. Die Bilder hämmerten auf ihn ein. Er war von den Schattenwesen gefangengenommen und in der Südwache festgehalten worden. Es war ihm gelungen zu fliehen, aber in Wahrheit hatte Felsen-Dall diese Flucht für ihn ermöglicht. Man hatte ihn fälschlicherweise glauben lassen, daß das Spiegeltuch ihn verbergen würde, während es ihn in Wahrheit auf eine Art verwandelt hatte, an die er sich nicht erinnern mochte. Es hatte ihn langsam in einen von ihnen verwandelt, hatte ihn nach ihrem Bild geformt. Er hatte die Kontrolle über sich selbst verloren und war zu etwas geworden, was einem Tier sehr ähnlich war, hatte auf der Suche nach seinem Bruder das Land durchstreift, hatte ihn gesucht, ohne darüber nachzudenken oder einen Grund dazu zu haben, außer dem Wunsch, ihm Schaden zuzufügen. Die dunklen Falten des Spiegeltuchs um sich herumgelegt, hatte er ihn verfolgt, gefunden und angegriffen…
Er atmete heftig durch den Mund. In seiner Brust verkrampfte sich etwas, und sein Magen rebellierte.
Sein Bruder.
… und hatte versucht, ihn zu töten - und hätte es getan, wenn ihn nicht etwas aufgehalten und ihn dann fortgetrieben hätte.
Er schüttelte den Kopf und kämpfte sich durch das Labyrinth seiner Erinnerungen. Er war verwirrt und wie wahnsinnig vor Par geflohen, hin- und hergerissen zwischen dem, der er gewesen war, und dem, der er geworden war. Danach hatte er mit Par gespielt, ohne sich wirklich bewußt zu sein, was er tat, war bei Tage vor ihm geflohen und hatte ihn bei Nacht gesucht, hatte ihn stets gejagt, irgendwo tief in sich selbst verloren. Haß und Angst hatten ihn getrieben, aber ihr Ursprung war niemals deutlich geworden.
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