Shannara VIII
ihnen, und niemand würde sich mit ihnen gemeinsam der Bedrohung entgegenstellen.
Beim Anblick der schattenhaften Gestalten, die vor den Fenstern hin- und herhuschten, zögerte Grianne nicht. Sie spürte die Gefahr, welche sie überall umgab, ein Kreis eiserner Klingen, der sich unerbittlich wie eine Schlinge enger zog. Jetzt rief sie nach ihrem Vater und rannte zurück ins Kinderzimmer, wo ihr Bruder schlief. Wortlos nahm sie ihn auf den Arm und drückte ihn fest an sich. Weich und warm fühlte er sich an, kaum zwei Jahre alt. Sie trug ihn hinunter in den Erdkeller, wo die Lebensmittel aufbewahrt wurden. Oben versuchten die Eltern, ihre Flucht zu decken. Glas zerbrach, Holz splitterte, und Grianne hörte die Schreie und Verwünschungen ihres Vaters. Er war ein tapferer Mann, und er würde dem Kampf nicht ausweichen. Leider würde das nicht genügen, das spürte sie bereits jetzt. Sie löste einen Riegel und zog einen Teil des Regals zurück, der den Eingang zu einem Kriechkeller verbarg, einer Zuflucht bei Sturm, die sie jedoch nie benutzt hatten. Dort legte sie ihren Bruder auf eine Pritsche. Einen Augenblick lang betrachtete sie ihn noch, sein winziges Gesicht und die geballten Fäuste, seinen schlafenden Körper, dann hörte sie, wie die Rufe und Flüche oben sich in Schmerzensschreie verwandelten, und Tränen rannen ihr die Wangen hinab.
Schwarzer Rauch drang von oben durch die Bohlen des Fußbodens in den Keller vor, als sie aus dem engen Schutzraum schlüpfte und den Eingang hinter sich verschloss. Sie hörte das Knistern der Flammen. Da ihre Eltern tot waren, würden die Eindringlinge bald kommen und sie holen, aber Grianne würde schneller sein und klüger, als sie dachten. Sie würde ihnen entwischen, und war sie erst draußen im fahlen Licht und in Sicherheit, würde sie die fünf Meilen zum nächsten Haus laufen, Hilfe finden und ihren Bruder retten.
Die schwarz verhüllten Gestalten suchten nach ihr, das hörte sie, während sie durch einen kleinen Gang zur Kellertür lief, die ins Freie führte. Draußen war die Tür hinter Büschen versteckt, und da sie selten benutzt wurde, würde man sie wahrscheinlich nicht entdecken. Falls doch, würden sie es bereuen. Sie hatte bereits herausgefunden, welchen Schaden man mit dem Wunschlied anrichten konnte. Zwar war sie noch ein Kind, trotzdem jedoch keineswegs hilflos. Sie kniff die Augen zusammen, schluckte die Tränen hinunter und schob das Kinn vor. Das würden sie eines Tages schon bereuen. Sie würden es bereuen, wenn sie ihnen das heimzahlte, was sie ihr gerade antaten.
Dann war sie durch die Tür hindurch und hockte sich im Licht der Dämmerung unter die Büsche. Rauch trieb in dunklen Wolken heran, und sie spürte die Hitze des Feuers, das an den Mauern ihres Hauses hinaufkroch. Alles nahm man ihr weg, dachte sie verzweifelt. Alles, das ihr etwas bedeutete.
Eine plötzliche Bewegung seitlich von ihr lenkte ihre Aufmerksamkeit auf sich. Als sie sich umwandte, legte sich eine Hand mit einem übel riechenden Tuch über ihr Gesicht, und die Welt um sie her begann sich zu drehen und versank allmählich in Dunkelheit.
Beim Erwachen war sie gefesselt, geknebelt, und man hatte ihr die Augen verbunden; sie wusste weder, wo sie war, wer sie gefangen hielt, noch ob es Tag oder Nacht war. Jemand trug sie über der Schulter wie einen Sack Getreide, aber niemand sprach. Bei jenen, die sie gefangen genommen hatten, handelte es sich um mehr als eine Person, das hörte sie an den schweren, festen Schritten. Auch das Atmen hörte sie. Ihr erster Gedanke galt ihrem Haus und ihren Eltern und ihrem Bruder. Die Tränen traten ihr in die Augen, und sie begann zu schluchzen. Sie hatte ihrer Familie gegenüber versagt.
Lange Zeit wurde sie so getragen, dann legte man sie auf den Boden und ließ sie in Ruhe. Sie wand sich und versuchte sich zu befreien, doch die Fesseln waren zu stramm verknotet. Hunger und Durst hatte sie außerdem, und kalte Hoffnungslosigkeit breitete sich in ihr aus. Es konnte nur einen Grund geben, weshalb sie verschleppt worden war - der Grund, weshalb man sie brauchte, ihre Eltern und ihren Bruder hingegen nicht. Ihr Wunschlied. Sie lebte, und die anderen hatten wegen ihrer ererbten Gabe das Leben verloren. Sie war diejenige mit der Magie. Sie war es, die etwas Besonderes darstellte. Etwas so Besonderes, dass man ihre Familie dafür ermordete und sie selbst verschleppte. Für das man ihr alles, was sie liebte, entriss.
Nicht lange danach kam es
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