SHANNICE STARR (German Edition)
Münze.
Warum half sie diesem Menschenhändler? War es nicht höchste Zeit, diese bedeutungslosen Werte von Moral und Anstand über Bord zu werfen? Werte, von denen man sich noch nie hatte ernähren können …
»Du – wirkst – nachdenklich«, hörte sie die abgehackten Worte einer brüchigen, kratzenden Stimme.
»Was? – Ich …« Shannices Kopf flog herum. Die offensichtliche Verwirrung in ihrem Gesicht entging Dread nicht, der sich vorsichtig aufgerichtet hatte und auf die Arme gestützt an seiner Schlafstatt neben ihr saß.
»Mir geht’s – ganz gut«, brachte er stockend hervor. Die Muskeln in seinem Gesicht zuckten wie unter großer Anstrengung und den Schmerzen, denen er nicht nachgeben wollte.
»Fühlst du dich stark genug, um zu reiten?«, erkundigte sich Shannice. Mit Unbehagen registrierte sie das Funkeln in den Augen ihres Gegenübers.
»Lass mich eine Kleinigkeit essen«, erhielt Shannice zur Antwort. »Dann können wir los.«
Sie ging zum Pferd, das auf hartem Gras und Zweigen herumkaute, und schnürte eine der Satteltaschen auf. Als sie Brot und Dörrfleisch in den Händen hielt, wurde ihr bewusst, dass sie ebenfalls lange nichts mehr gegessen hatte. Wie zur Bestätigung begann ihr Magen zu knurren.
»Du musst – mir mehr von dir erzählen«, sprach der Headhunter weiter. Die Worte kamen nun bedeutend flüssiger. Auch die Stimmbänder schienen geschmeidiger zu werden und kratzten nicht mehr so auffällig. Doch dann stach der Schmerz wie ein glühendes Schwert in seine Eingeweide. Auf seiner Stirn sammelten sich augenblicklich Schweißperlen.
»Nicht so hastig!«, wies das Mädchen ihn zurecht und kniete sich mit den Nahrungsmitteln auf ihr Schlaflager. »Sieh zu, dass die Wunden nicht aufbrechen. Besonders nicht die über deiner Hüfte.«
Dread erinnerte sich. Diese Bastarde hatten ihn schlimm zugerichtet.
»Hast – du … –«, keuchte Dread, brachte den Satz aber nicht zu Ende.
»Ich hab die Einschusslöcher ausgebrannt. Alle vier!« Shannice schnitt sich mit dem Jagdmesser einen knochenharten Kanten Brot ab und schob ihn sich in den Mund. Dann stach sie das Messer in den gefrorenen Grund, dass es stecken blieb. »Bedien dich«, murmelte sie, während sie kaute und dabei versuchte, das Brotstück mit Speichel aufzuweichen.
Nachdem Shannice geraume Zeit schweigend gegessen und auch Josh Dread sich von Brot und Fleisch genommen hatte, ergänzte sie wie zur Erklärung: »Die Kugel in deiner linken Seite ist glatt durchgegangen. Weiß nicht, was sie alles in dir kaputt gemacht hat. Die Löcher hab ich mit Lehm zugekleistert.« Sie deutete auf eine Stelle ein paar Yards weiter, in der ein Loch im Boden klaffte. Die junge Frau hatte es mit dem Messer gegraben. »Ist ’ne Art Ersatz für Salbe …«
Der Headhunter schluckte einen grob zerbissenen Brocken Fleisch hinunter. »Du hast dich gut um mich gekümmert. Ich werd’s wohl bis in die nächste Stadt schaffen.«
Sie aßen weiter. Irgendwann stieß Dread auf. Shannice Starr tat es ihm nach, und beide mussten sie lachen.
Es war ein unbeschwerter, beinahe glücklicher Moment, der von den Sorgen und Nöten der Wirklichkeit ablenkte.
Aber so etwas hielt nie lange an …
Am späten Nachmittag wurde die Kälte trotz des gleißenden Sonnenlichts geradezu mörderisch. Shannice hauchte in ihre Hände, um diese zu wärmen. Sie blickte Josh Dread intensiv an, der ihr reglos und im Schatten der Kiefern gegenübersaß. Er zeigte keine Reaktion, atmete nicht einmal. Stocksteif war er unter ihren verzweifelt zuschnappenden Händen, die ihn erst durchschüttelten, dann seine Wangen rau tätschelten. Erschrocken zuckten Shannices Finger zurück! Der erstarrte Körper des Gunmans kippte leblos weg in den Schnee. Seine Augen waren geschlossen, die Haut bläulich verfärbt.
Für den Kopfgeldjäger kam jede Hilfe zu spät.
Shannice schluckte. Tiefe Trauer stieg in ihr hoch. Dread war nicht schlecht gewesen; er hatte lediglich schlechte Erfahrungen gemacht. Genau wie sie selbst. Daher wusste Shannice auch, wie prägend sie für den Charakter waren.
Seltsam, überlegte die Frau. Er hatte den Auftrag, mich dahin zurückzubringen, von wo ich geflohen bin. Doch erst jetzt habe ich verstanden, dass ich meinen Frieden nur finden kann, wenn ich mich der Vergangenheit stelle – wenn ich mich Douglas stelle …
Lange Sekunden hielt Shannice das Gesicht des Gunman in ihren Händen, als wolle sie sich für diese tief greifende Erkenntnis
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