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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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wirklich, dass sie uns die Geschichte abnimmt – dass sie mir glauben wird?«
    »Wir müssen es eben richtig hinkriegen. Sie ist eher gerissen als klug, aber dumm ist sie auch nicht.«
    »Und du meinst, ich schaffe das?«
    »Wie ist denn dein amerikanischer Akzent?«, fragte sie mit einem leicht verlegenen Lachen.
    »Ich war mal Schauspieler«, murmelte ich. »In einem anderen Leben.«
    »Super«, sagte Karla und berührte meinen Arm. Ihre langen schlanken Finger fühlten sich kühl an auf meiner warmen Haut.
    »Ich weiß nicht«, wandte ich mit gerunzelter Stirn ein. »Ich trage da ziemlich viel Verantwortung.Wenn dem Mädchen oder dir was zustößt …«
    »Hey, sie ist meine Freundin. Und das Ganze ist meine Idee. Die Verantwortung trage ich.«
    »Ich hätte ein besseres Gefühl bei der Sache, wenn ich das alles mit den Fäusten regeln könnte, weißt du. Diese Geschichte mit der Botschaft – da kann so viel danebengehen.«
    »Ich würde dich nicht darum bitten, wenn ich nicht das Gefühl hätte, dass es der richtige Weg ist und dass du es schaffen kannst, Lin.«
    Sie verfiel in Schweigen und wartete ab. Ich ließ sie warten, aber ich wusste die Antwort schon. Vielleicht dachte sie, dass ich das Für und Wider abwog, bevor ich die Entscheidung traf. Tatsächlich aber dachte ich nur noch darüber nach, warum ich es machen würde. Für sie? Will ich mich wirklich einlassen, oder interessiert es mich nur?, fragte ich mich. Und warum habe ich den Bär umarmt?
    Ich lächelte.
    »Wann soll die Sache steigen?«
    Sie erwiderte mein Lächeln.
    »In ein paar Tagen. Ich muss erst noch ein paar Vorbereitungen treffen.«
    Sie warf das aufgerauchte Beedie weg und trat einen Schritt auf mich zu. Womöglich hätte sie mich geküsst, wenn nicht in diesem Moment hinter uns ängstliche Rufe und Schreie ertönt wären. Die Leute rannten zu den Fenstern, und in dem dichten Gedränge tauchte plötzlich Prabaker neben Karla auf.
    »Stadtverwaltung!«, rief er. »Die B. M. C. kommt! Bombay Municipal Corporation. Seht ihr das? Da, ja?«
    »Was ist eigentlich los?«, fragte Karla. Ihre Frage ging in dem allseitigen Geschrei fast unter.
    »Der Stadtrat. Die lassen ein paar Häuser abreißen«, rief ich zurück, die Lippen dicht an ihrem Ohr. »Das machen sie im Schnitt einmal im Monat. Sie versuchen, den Slum einzudämmen. Wollen verhindern, dass er sich über die Straße hinaus ausbreitet.«
    Unweit der Hauptstraße sahen wir sechs große dunkelblaue Mannschaftswagen der Polizei auf ein Stück offenes Gelände rollen, das eine Art Niemandsland am Rand des Slums war. Die massigen Transporter waren mit Segeltuchplanen abgedeckt. Wir konnten nicht hineinsehen, wussten aber, dass in jedem Wagen eine Polizeieinheit von zwanzig Mann oder mehr saß. Ein Laster mit offener Ladefläche, der Arbeiter und ihre Ausrüstung transportierte, fuhr zwischen den geparkten Polizeifahrzeugen hindurch und hielt in der Nähe der Hütten an. Polizisten stiegen aus den Mannschaftswagen und ließen die Arbeiter in zwei Reihen Aufstellung nehmen.
    Die städtischen Arbeiter, größtenteils selbst Slumbewohner aus anderen Teilen der Stadt, sprangen von ihrem Laster und begannen mit der Zerstörung. Jeder Mann hatte ein Seil mit einer Art Enterhaken, das er so lange ans Dach einer Hütte schleuderte, bis der Haken griff. Dann zog er an dem Seil und brachte den wackeligen Bau zum Einsturz. Den Bewohnern blieb nur noch Zeit, das Allernötigste zusammenzuraffen – Babys, Geld, Papiere. Alles andere wurde mit umgerissen und unter den Trümmern begraben – Petroleumkocher und Kochtöpfe, Kleiderbündel, Bettzeug und Spielsachen. Die Leute stoben in Panik auseinander. Die Polizei hielt einige von ihnen auf und führte ein paar junge Männer zu den Wagen ab.
    Die Leute neben uns verstummten, während sie dem Geschehen zusahen. Von hier oben konnten wir das ganze Ausmaß der Zerstörung dort unten beobachten, hörten jedoch nicht einmal die lautesten Geräusche. Die Lautlosigkeit dieser systematischen Verwüstung setzte uns allen zu, und erst jetzt, in dieser unheimlichen Stille, nahm ich das klagende Heulen des Winds wahr. Ich wusste, dass jetzt aus allen fünfunddreißig Stockwerken Menschen schweigend dort hinunterstarrten.
    Obwohl die Hütten der Bauarbeiter im legalen Slum nicht gefährdet waren, legten die Leute auf der gesamten Baustelle aus Solidarität die Arbeit nieder. Den Bauarbeitern war klar, dass auch ihre Häuser in Trümmer gelegt werden würden, sobald

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