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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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die beiden Gebäude fertig waren. Sie wussten, dass man das Ritual, das sie alle so oft miterlebt hatten, ein letztes Mal durchführen würde: Das Ghetto würde abgerissen und niedergebrannt werden. Und durch einen Parkplatz für Limousinen ersetzt werden.
    Ich blickte in die Gesichter um mich herum, die von Mitgefühl und Furcht gezeichnet waren. In manchen Augen sah ich Scham, weil vielen von uns der Gedanke durch den Kopf schoss: Gott sei Dank … Gott sei Dank hat es nicht mich erwischt …
    »Ist das viel prima großes Glück, ist es gerettet, dein Haus, Linbaba! Deins und meins auch!«, sagte Prabaker, während wir zuschauten, wie die Polizisten und die städtischen Arbeiter wieder in ihre Transporter stiegen und davonfuhren. Sie hatten eine etwa hundert Meter lange und zehn Meter breite Schneise in den nordöstlichen Teil des illegalen Slums gehauen. An die sechzig Häuser waren dem Erdboden gleichgemacht worden, das Zuhause von mindestens zweihundert Menschen. Die Aktion hatte keine zwanzig Minuten gedauert.
    »Wo gehen die jetzt hin?«, fragte Karla leise.
    »Morgen um diese Zeit stehen die meisten Hütten wieder. Und nächsten Monat kommen die von der Stadt und reißen diese oder andere Hütten in einem anderen Teil des Slums nieder. Auch die werden einfach wieder aufgebaut. Aber es ist trotzdem ein schlimmer Verlust für die Menschen. Ihre Sachen sind kaputt, und sie müssen neue Matten und neuen Bambus kaufen, um sich neue Hütten zu bauen. Und bei diesen Aktionen werden immer ein paar Leute festgenommen, die man vielleicht monatelang nicht mehr wiedersieht.«
    »Ich weiß nicht, was mir mehr Angst macht«, sagte sie, »der Wahnsinn, der Menschen zerstört, oder ihre Fähigkeit, ihn zu ertragen.«
    Die meisten Leute waren schon wieder gegangen, doch Karla und ich blieben so nah beieinander stehen wie zuvor im Gedränge. Ich hatte den Arm um ihre Schulter gelegt. Unten, dreiundzwanzig Stockwerke tiefer, begannen die ersten Leute, in den Überresten ihrer Hütten zu stöbern. Andere bauten bereits Unterstände aus Segeltuch und Plastik für Alte, Säuglinge und Kleinkinder. Karla drehte sich zu mir um, und ich küsste sie.
    Ihre geschwungenen Lippen schmolzen auf meinen. Eine solch traurige Zärtlichkeit lag in dieser innigen Berührung, dass ich einen Augenblick lang schwebte, mich in dieser namenlosen Nähe verlor. Ich hatte Karla bisher immer für eine Frau gehalten, die hart im Nehmen, mit allen Wassern gewaschen und distanziert war. Doch in diesem Kuss kam echte, wahre Verletzlichkeit zum Ausdruck. Seine sanfte Süße war wie ein Schock für mich, und ich zog mich als Erster zurück.
    »Entschuldige, ich …«, stammelte ich.
    »Schon gut«, sagte sie lächelnd und lehnte sich zurück. Ihre Hände ruhten auf meiner Brust. »Aber vielleicht machen wir ja eins von diesen hübschen Mädchen da drüben eifersüchtig.«
    »Wen denn?«
    »Hast du etwa keine Freundin hier?«
    »Nein. Natürlich nicht.« Ich runzelte die Stirn.
    »Ich sollte wirklich nicht mehr auf Didier hören«, seufzte sie. »Das war seine Idee. Er glaubt, dass du hier jemanden hast. Er meint, die Liebe wäre der einzige Grund, warum ein Ausländer im Slum leben würde.«
    »Ich habe keine Freundin, Karla, weder hier noch sonst irgendwo. Ich liebe dich.«
    »Nein, das tust du nicht«, fauchte sie, und das fühlte sich an wie ein Schlag ins Gesicht.
    »Ich kann nicht anders. Ich bin schon seit Langem –«
    »Hör auf!«, fiel sie mir ins Wort. »Du liebst mich nicht. Du liebst mich nicht. Verflucht, wie ich sie hasse, die Liebe!«
    »Man kann die Liebe nicht hassen, Karla.« Ich lachte leise, um die Stimmung etwas aufzulockern.
    »Vielleicht. Aber man kann sie widerwärtig finden. Es ist so überheblich, jemanden zu lieben. Und es passiert viel zu oft. Es gibt viel zu viel Liebe auf dieser Welt. Manchmal stelle ich mir den Himmel als einen Ort vor, an dem alle glücklich sind, weil keiner irgendjemanden liebt.«
    Der Wind peitschte ihr das Haar ins Gesicht, und sie strich es mit beiden Händen nach hinten und hielt es fest, die Finger über der Stirn gespreizt. Sie starrte auf ihre Füße.
    »Was zum Teufel ist bloß mit dem guten alten unverbindlichen Sex passiert?«, knurrte sie.
    Es war keine Frage, aber ich antwortete trotzdem.
    »Den würde ich nicht ausschließen – als Ausweichmöglichkeit, sozusagen.«
    »Hör zu«, sagte sie nun etwas sanfter und blickte zu mir auf. »Ich will niemanden lieben, und ich will auch nicht, dass mich

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