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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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hatte uns eingezwängt, und es gab keine Fluchtmöglichkeit. Andererseits waren die Angreifer in dem allgemeinen Gedränge stark in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Nicht selten trafen die prügelnden Männer sich in ihrer Raserei gegenseitig, sodass wir weniger Hiebe abbekamen, als dies bei einer geringeren Zahl von Gegnern der Fall gewesen wäre.
    Und vielleicht wurde ihr Zorn ja tatsächlich ein wenig gemildert, vielleicht scheuten sie trotz ihres Verlangens, uns wehzutun, plötzlich davor zurück, uns umzubringen. Ich kenne diese letzte Grenze. Ich habe sie oft gesehen, an vielen verschiedenen Orten der Gewalttätigkeit, kann sie aber nicht wirklich erklären. Es scheint, als hätte der Mob in seiner Raserei eine Art kollektives Gewissen, und das richtige Wort zur rechten Zeit könnte die Mordlust vom bereits ausersehenen Opfer abwenden. Es scheint, als wollte der Mob in solch einem Moment gebremst werden, als wollte er davon abgehalten werden, seine Gewaltbereitschaft bis zum Letzten auszuleben. Und in dieser kurzen Sekunde des Zweifels kann eine einzige Stimme oder Faust, die sich gegen das sich drohende Übel wendet, genug sein, um es zu verhindern. Ich habe im Gefängnis erlebt, wie Männer, die im Begriff waren, eine Gruppenvergewaltigung zu begehen, von einer Stimme, die sie an ihrem Gewissen packte, davon abgehalten werden konnten. Ich habe es im Krieg erlebt, wo eine starke Stimme die hasserfüllte Grausamkeit, mit der ein Gefangener gequält wird, abschwächen und ihr Einhalt gebieten kann. Und vielleicht erlebte ich das auch an jenem Tag, als der Nigerianer und ich uns gegen den Mob zur Wehr setzten. Vielleicht hielt die eigenartige Lage – dass ein weißer Mann, ein gora, sich auf Hindi für das Leben zweier Schwarzer einsetzte – die Männer davon ab, tatsächlich zu morden.
    Das Auto hinter uns erwachte plötzlich laut aufheulend zum Leben. Dem schwergewichtigen Fahrer war es gelungen, den Motor anzulassen. Er jagte ihn noch einmal hoch und fuhr dann ganz langsam rückwärts von der Unfallstelle weg. Der Mann von der Rückbank und ich drängten und schoben uns mit dem Wagen durch die Menge. Wir schlugen um uns, drückten die Männer von uns weg, rissen ihre Hände von unseren Kleidern. Als der Fahrer über seinen Sitz hinweg nach hinten griff und uns die Tür aufmachte, sprangen wir beide in den Wagen. Der Druck der Menge schloss die Tür. Zwanzig, fünfzig Hände hämmerten, klopften, droschen auf das Auto ein. Der Fahrer fuhr im Schritttempo den Causeway entlang. Ein ganzes Sortiment an Wurfgeschossen – Teegläser, Essensbehälter, Dutzende von Schuhen – prasselten auf das Auto nieder. Dann waren wir frei, sausten die verkehrsreiche Straße entlang und vergewisserten uns durchs Rückfenster, dass uns niemand folgte.
    »Hassan Obikwa«, sagte der Mann neben mir und streckte mir die Hand hin.
    »Lin Ford«, antwortete ich, und während ich seine Hand schüttelte, fiel mir zum erstenmal auf, wie viel Gold der Mann trug. An sämtlichen Fingern steckten Ringe; einige von ihnen waren mit glitzernden blauweißen Diamanten besetzt. Und an seinem Handgelenk hing lose eine mit Diamanten gespickte Rolex.
    »Das ist Rahim«, sagte er mit einem Nicken in Richtung des Fahrers. Der Hüne auf dem Vordersitz warf mir einen kurzen Blick über die Schulter zu und grinste mich breit an. Als eine Art Dankgebet für unsere Rettung verdrehte er kurz die Augen, dann wandte er sich wieder der Straße zu.
    »Ich verdanke Ihnen mein Leben«, sagte Hassan Obikwa mit grimmigem Lächeln. »Wir beide verdanken Ihnen unser Leben. Die wollten uns umbringen, das steht fest.«
    »Wir hatten Glück«, antwortete ich. Obikwa hatte ein rundes freundliches Gesicht, und ich spürte, dass er mir sympathisch war.
    Augen und Lippen waren die prägnantesten Teile seines Gesichts. Die großen Augen standen ungewöhnlich weit auseinander, was seinem Blick etwas Reptilienhaftes gab, und die bildschönen Lippen waren so voll und üppig, dass sie für einen viel größeren Kopf geschaffen zu sein schienen. Seine Schneidezähne waren weiß und ebenmäßig, doch alle anderen Zähne waren mit Gold überkront. Die breiten, aber fein geschwungenen Nasenflügel wirkten, als atme er ständig einen angenehm berauschenden Duft ein. Ein breiter goldener Ohrring, der unter dem kurzen schwarzen Haar und vor der blauschwarzen Haut seines kräftigen Halses besonders zur Geltung kam, schmückte sein linkes Ohr.
    Ich betrachtete sein zerrissenes,

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